: In der Hölle ist wieder mal die Hölle los
APPLAUS Politmagazin „Cicero“ wird für seinen fairen Umgang mit Freien Autoren ausgezeichnet
Die Hauptsache geriet am Samstagabend ein wenig zur Nebensache. Die dritte Verleihung des „Himmel-und-Hölle-Preises“, mit dem die Freischreiber, Berufsverband der freien Journalisten, Redaktionen für ihren (un)-fairen Umgang mit Freien auszeichnen oder strafen, stand an. Doch weil man zugleich 5. Jahrestag feierte, dachte man im eigenwillig grün ausgeleuchteten Café des Betahauses in Berlin-Kreuzberg vor lauter sympathischer Jubiläumstrunkenheit gar nicht daran, allzu schnell zur Hauptsache des Abends vorzustoßen.
Also schwelgten Freischreiber-Mitbegründer Kai Schächtele und Vorsitzender Benno Stieber zunächst selbstvergessen – und durchaus unterhaltsam – in Erinnerungen an die Gründungszeit: An den „Furor“ (Schächtele), den etwa 140 Freie 2008 ob der geringen Wertschätzung durch Redaktionen verspürt hätten und die daraus entstandene Idee, ein Netzwerk zu gründen, das zeigt, was Freie (Stieber: „die Leute, die die Hefte vollmachen“) leisten.
Der Freischreiber-Himmel ist eher übersichtlich: Man habe in diesem Jahr etwas Mühe gehabt, vier Kandidaten zusammenzubekommen, sagte Jurymitglied Julia Friedrichs. Nominiert waren das Politmagazin Cicero, die Deutschlandfunk-Sendung „Forschung Aktuell“, das Heimatmagazin Servus in Stadt und Land und das Rennradmagazin Tour.
In der Hölle traten sich die Kandidaten dagegen auf die Füße. Natürlich war der im Oktober gestartete deutsche Ableger der US-amerikanischen Onlinezeitung Huffington Post (HuffPo) dabei (Ohland: „Reichweite als alleiniges Zahlungsmittel, das ist historisch“). Auch die Funke-Gruppe (vormals WAZ) hatte sich hinreichend qualifiziert, als sie im Februar die Westfälische Rundschau (WR) faktisch dichtmachte; Mantel und Lokalteile lässt sie seither von anderen WAZ-Blättern liefern (Ohland: „Zeitung als komplett recherchefreie Zone, darauf muss man erst mal kommen“).
Am Ende machte aber weder die HuffPo („mit journalistischen Standards nicht zu fassen“) noch die WR („für Freie irrelevant“) das Negativrennen. Der Bonner Generalanzeiger bekam, in Abwesenheit, die Freischreiber-Gurke verliehen. Der Generalanzeiger schreibe zwar schwarze Zahlen, speise seine Freien aber mit Hungerlöhnen ab. Zwei Autoren hatten nun gegen eine „Bezahlung“ von 21 beziehungsweise 25 Cent pro Zeile geklagt, das Kölner Landgericht gab ihnen recht. 56 Cent müssten schon sein, so die Richter. Und der Generalanzeiger? Der zeigt keine Einsicht und will in Revision gehen.
Der Applaus ob der Vergabe des Negativpreises fiel allerdings verhalten aus – HuffPo und WR waren im Jahresrückblick wohl doch die Themen, die die Freischreiberseelen, neben dem Tod der Financial Times Deutschland und dem Beinahetod der zum FAZ-Anhängsel geschrumpften Frankfurter Rundschau, mehr beschäftigten.
Immerhin konnten mit dem Positivpreis für den Cicero alle gut leben: Zusammenarbeit auf Augenhöhe, gute Redaktion, zügige Bezahlung. Ex-sonntaz-Leiter und Cicero-Textchef Georg Löwisch blickte in lauter wohlwollende Mienen, als er erklären sollte, warum er alle so glücklich mache. Eigentlich, sagte Löwisch, sei das ja ein Missverständnis: „Der Trick, auf den alle reinfallen: Ich betüttel die Autoren die ganze Zeit. Und dann freuen sie sich so, dass sie ihren Text noch mal gegenlesen dürfen, dass ich einen Korrektor gewonnen habe, der ganz kostenlos für mich arbeitet.“ Ohland bemerkte trocken, Vorschläge für den Hölle-Preis im nächsten Jahr nehme man entgegen. ANNA KLÖPPER