JÜRGEN GOTTSCHLICH ÜBER DEN TÜRKISCHEN PREMIER UND DIE KURDENFRAGE
: Erdogan schreibt Geschichte

Das Treffen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan mit dem irakischen Kurdenführer Masud Barsani in Diyarbakir war ein echter Clou. Sicher, der gemeinsame Auftritt von Erdogan und Barsani in der türkischen Kurdenhochburg Diyarbakir diente auch dem Wahlkampf der AKP in den kurdischen Gebieten und soll sich bei den Kommunalwahlen im März nächsten Jahres auszahlen.

Doch dieses Treffen, das tatsächlich das Prädikat „historisch“ verdient, war dann doch weit mehr als Wahlkampfpropaganda. Ein Vorvorgänger von Erdogan, der konservative Politiker Mesud Yilmaz, hat in einem seiner lichten Momente einmal gesagt, die Lösung der kurdischen Frage geht nur über Diyarbakir. Gemeint war, es gibt nur eine Lösung, wenn die türkische Regierung die kurdische Realität im Land anerkennt.

Seit gestern muss man sagen, dass Erdogan dies tut. Gemeinsam mit einem kurdischen Sänger, der vor wenigen Jahren noch verfemt war, und dem Präsidenten des kurdischen De-facto-Staates im Norden Iraks redete Erdogan davon, Frieden zu schaffen, die kurdischen Kämpfer von den Bergen zu holen und die Gefängnisse zu leeren. Erstmals nahm er selbst das Wort „Kurdistan“ in den Mund.

Noch sind das nur Worte und symbolische Gesten, doch es ist eine Symbolik, hinter die die Türkei nicht mehr zurückkann. Da Erdogan gleich zu Beginn seines Besuchs auch dem kurdischen Bürgermeister von Diyarbakir, Osman Baydemir, seine Referenz erwies, fiel es der BDP, der Partei, die bislang die Wahlen im kurdischen Südosten dominiert, schwer, Erdogans Auftritt als reine Show zu kritisieren. Das wäre auch falsch, denn die Kurden in der Türkei sind dem Ziel, als vollwertige Bürger des Landes anerkannt zu werden, einen großen Schritt nähergekommen.

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