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Archiv-Artikel

Erbe und Aussicht

STANDORTFRAGEN Sicher: In Hamburg haben sie die Beatles zuerst gehört – aber das ist Jahrzehnte her. Gerne aber stilisieren die örtliche Politik und ihre Marketing-GmbH auch heute die traditionsreiche Kaufmanns- zur Popstadt Nummer eins

VON VERONIKA WAWATSCHEK

„Wo anders bin ich wer gewesen“, singt Hannes Wittmer alias Spaceman Spiff, „hier muss ich jemand sein.“ Gewidmet hat er den Song seiner neuen Heimat – Hamburg. Wittmer hat es geschafft in der Stadt, die sich so gerne damit brüstet, die deutsche Hauptstadt des Pop zu sein: Der 24-Jährige kann von seiner Musik leben.

Musikmetropole möchte die Handelsstadt gerne sein. Die städtische Marketing-GmbH hat dafür eigens ein gleichnamiges Internetportal entworfen. Zunächst aber zehrt Hamburg von der Vergangenheit: Im „Star-Club“ im Stadtteil St. Pauli sind die Beatles bekannt geworden. Drei Jahrzehnte später erregten von Hamburg aus Bands wie Blumfeld, Tocotronic, Tomte und Kettcar Aufsehen. Auch die Hochzeit dieser „Hamburger Schule“ sind vorbei – dafür hat die Politik den Pop entdeckt, oder vielmehr den Popstandort. Und wirbt seither mit dem angeblich so kreativen Klima der traditionsreichen Kaufmannsstadt.

Der Singer/Songwriter Hannes Wittmer ist vor einem Jahr ist der aus der Provinz gekommen, im Gepäck ein abgebrochenes Sportstudium, seine Gitarre und den bestandenen Aufnahmetest für den Popkurs, eine Art Sommerakademie für Musiker. Ins Musikbusiness wollte er, von der eigenen Musik leben – das war damals nur der Traum eines Studenten, der bis dahin gelegentlich unter dem Namen seines Kindheitshelden aufgetreten war: Spaceman Spiff, der Weltraummann, das Alter Ego der Comicfigur Calvin. Daheim in Unterfranken sang er mal auf kleinen Bühnen, mal bei Freunden auf dem Dachboden. Einmal auch bei der Jugendwelle des Bayerischen Rundfunks. „Ich wollte nicht einfach Kommerzpop machen“, sagt Wittmer, „nur damit ich davon leben kann.“

In Würzburg arbeitete er ehrenamtlich in einem Kulturzentrum mit, organisierte Konzerte. Musikmanagement interessierte ihn. Deshalb bewarb er sich an der Hamburger Musikhochschule um einen Platz im Kontaktstudiengang Popularmusik, dem „Popkurs“. Zwei Mal drei Wochen lang können sich junge Musiker dort ausprobieren, lernen die Branche kennen und andere Musiker. So wie 1999 vier Musiker aus Hannover, Bremen, Karlsruhe und Berlin: Drei Jahre und einen Umzug nach Berlin später veröffentlichten sie ihre erste Platte – unter dem Namen „Wir sind Helden“.

Auch Seeed und Gisbert zu Knyphausen haben den Hamburger Popkurs mitgemacht. Auch sie sind nach Berlin gezogen: Weil es größer ist, vielfältiger, mit mehr Auftrittsmöglichkeiten. 5.707 Musiker waren im Januar 2009 in Berlin bei der Künstlersozialkasse gemeldet, in Hamburg waren es etwa halb so viele. Allerdings hat die Stadt auch nur halb so viele Einwohner. Auch Thees Uhlmann, der Kopf von Tomte, ging nach Berlin. „Ich kann hier einfach ganz anders leben“, hat er einmal gesagt, „aber auch meine anderen Freunde, die Musik machen, haben hier viel mehr Möglichkeiten.“

Gekommen, um zu bleiben

Hannes Wittmer aber ist in Hamburg gelandet – und geblieben. „Hier habe ich zum ersten Mal gesagt: Ich bin Musiker. Und hab es mir geglaubt“, sagt er. Selbstsicherheit, Kontakte und Vertrauen in seine Musik habe er dort gewonnen. Etwa 1.000 Mal hat er im vergangenen Jahr seine Platte „Bodenangst“ verkauft. Das sei gut, sagt er – besonders, weil er bei keiner Plattenfirma unter Vertrag ist. Überleben kann mittlerweile. „Ich habe kein Auto, teure Cocktails trinke ich auch nicht.“ Ein studentisches Budget von etwa 800 Euro steht ihm dazu zur Verfügung. Seine Eltern unterstützen ihn noch mit der Miete, was er aber seit drei Monaten eigentlich nicht mehr bräuchte. Sparen muss er, um sich zum Beispiel neue Ausrüstung zu kaufen.

80 Auftritte hat er gehabt, seit er vor einem Jahr nach Hamburg kam: zwischen Berlin und Freiburg, Münster und Wien. Er bekommt Gagen, mahl höhere, mal ziemlich niedrige. Manchmal spielt er auch für lau, um bekannter zu werden. Geholfen habe ihm da der Mythos der Pophauptstadt: „Wenn du’s dort schaffst, dann schaffst du’s in ganz Deutschland“, das habe er im Hinterkopf gehabt. „Wenn ich auf der Bühne als Musiker aus Hamburg angekündigt werde, treten mir die Leute gleich ganz anders gegenüber.“

Geholfen haben ihm aber auch die Kontakte: Felix Weigt hat er damals im Popkurs kennengelernt. 15-mal standen die beiden seither zusammen auf der Bühne. Weigt, 26, kommt aus Hamburg, wo er auch Kontrabass studiert hat. Er ist geblieben. Weggehen, nach Berlin, wo die Mieten niedriger und die Clubs zahlreicher sind? Darüber habe er nie nachgedacht. In Hamburg kennt Weigt viele Musiker, die Kontakte sind seine Auftrittsgarantie.

Zum Überleben aber braucht er nach wie vor das Unterrichten – und seine „musikalischen Gelegenheitsgeschäfte“: So nennt er seinen Job als Barpianist in einem Fünf-Sterne-Hotel. Und so bezeichnet er auch Auftritte mit Fliege und „Schrumm, schrumm“-Musik: bei Empfängen, Diners oder Galas. Das Leben ist teuer in Hamburg, Proberäume sind es auch. Felix Weigt hatte Glück, er teilt sich einen mit Freunden. Mit Hannes Wittmer übt er in der WG-Küche. Trotzdem findet er, dass die Stadt genug Möglichkeiten bietet, sich als Musiker etwas dazuzuverdienen.

„Besserer Verdienst“

Ähnlich urteilt auch Amke Block. Sie hat den Verband Unabhängiger Musikunternehmen mitgegründet. Seit einigen Jahren beobachtet sie, inwieweit die Stadt als Musikstandort funktioniert. „Berlin ist vielleicht Bafög-freundlicher“, sagt sie, „aber die Verdienstmöglichkeiten sind in Hamburg besser.“ Sie unterstützt junge Künstler dabei, ihre Musik digital zu vermarkten und sitzt mit ihrer Firma im „Karostar“, einer Art Gründeretage für die Musikbranche in Hamburg- St. Pauli.

Rund 40 Unternehmer haben sich dort eingemietet. Denn die Stadt ist nicht nur für Künstler ein Sprungbrett, sondern auch für die Firmen, die sie auf die Bühnen und zu den Hörern bringen. Der Weggang des Branchenriesen Universal Anfang der Nullerjahre – nach Berlin – hat Kratzer hinterlassen, nicht nur am Hamburger Selbstbewusstsein.

Deutlich wird das im so genannten Lokalisationskoeffizienten, den die Bundesagentur für Arbeit errechnet: Sie vergleicht den Anteil der Beschäftigten, die in Hamburg in der Musikwirtschaft arbeiten, mit dem entsprechenden Anteil in ganz Deutschland. Nimmt man die Musikwirtschaft insgesamt, landet Hamburg auf dem letzten Platz – hinter der Region Hannover, Stuttgart, München und Berlin. Analysiert man die Teilbereiche der Musikwirtschaft – Konzerte und Komposition, Musikinstrumente, Musikverlag und Musiktechnik – hat Hamburg bei den Verlagen die Nase vorn: Die Musikrechte vieler Bands, darunter auch von Tokyo Hotel, liegen in Hamburg. Berlin ereicht in keinem dieser Teilbereiche Platz eins.

Die günstigen Mieten hätten sie in die Hauptstadt gelockt, erzählt Stephanie Crutchfield. In Hamburg machte sie nur einen Zwischenstopp. Aber auch die Hälfte ihrer Mannheimer Studienkollegen sei mittlerweile nach Berlin gezogen. Nach dem Bachelor an der Akademie für Popmusik in Mannheim wagte die 25-Jährige einen zweiten Versuch in Richtung Musikerkarriere. Sie hatte Gesang studiert, viel Kredit in der Branche gesammelt. In Hamburg hoffte sie Musiker für ein gemeinsames Projekt zu finden. Sie hat viele Leute kennengelernt, in Mannheim und in Hamburg. Aber das Vertrauen in ihre Musik, das kam auch in der angeblichen Pophauptstadt nicht. „Ich war mir sehr unsicher. Ich wusste nicht, was ich will“, sagt Crutchfield. Die Musik will sie erst mal nur als Hobby weitermachen und ab dem kommenden Herbst in Berlin studieren: Kommunikationsdesign.

„Berlin klingt ein bisschen schmutziger“, sagt Amke Block und will das nicht negativ verstanden wissen, sondern auf den Sound der Stadt bezogen. Sie findet, dass sich Hamburg als Standort für die Musikwirtschaft behaupte: „Es gibt hier einen Pool von Firmen, die sehr seriös arbeiten und die sich hier gehalten haben“. Sie erinnert an die Musikverlage und sieht darin die kaufmännische Tradition fortgeführt.

Zwischen 2003 und 2007 seien die Beschäftigungsverhältnisse in der Musikwirtschaft gestiegen, stellen die Autoren der Musikstudie fest, die die Hamburger Sparkasse hat erstellen lassen. Damit habe der Rang Hamburgs als Musikstandort wieder zugenommen. Das sieht auch Andrea Rothaug so, Geschäftsführerin von „Rock City“, einem Verein von Musikschaffenden für Musikschaffende: „Hamburg rappelt sich gerade wieder ganz gut an Berlin vorbei“, sagt sie. Und verweist etwa auf das „Reeperbahnfestival“, die ihrer Meinung nach dichte Clubszene – oder auch die Spielstättenförderung der Stadt: Insgesamt 150.000 Euro stellt die Kulturbehörde aktuell als „Live Concert Account“ zur Verfügung, seit längerem schon werden Konzertclubs mit insgesamt 56.000 Euro für ihr Programm bezuschusst.

Unterstützung für die Musiker selbst aber kommt meist aus privater Hand, wie etwa von Rock City: Der Verein hilft jungen Musikern – egal, ob es um die Steuererklärung geht oder um einen Tourbus. Zum zweiten Mal verlieh man gerade den „Krach und Getöse“-Preis: Zwölf Monate lang bekommen Gewinner finanzielle Unterstützung, arbeiten mit erfahrenen Musikern, Studios oder Agenturen zusammen und erhalten Hilfe etwa beim Merchandising. Über 100 Bewerbungen sind eingegangen. Hannes Wittmer ist einer der fünf Gewinner.

Angst vor einer Bauchlandung hat der Weltraummann keine: „Wo anders bin ich wer gewesen“, so endet sein Song, „hier werd’ ich jemand sein.“