Voodoo, Bier und Frikadelle

Hier in Dortmund hat Deutschland noch nie verloren. Aber wer nur für ein Spiel anreist, muss die Unterkunft dennoch für drei Nächte buchen – selbst in den Viererkojen des Fan-Camps. In den Nachbarstädten sind jedoch noch Betten frei

England verlieren zu sehen, das genügt den Schotten vollkommen

von CLAUDIA ALDENHOVEN

Grelles Sonnenlicht durchflutet die U-Bahn, als sie am Rennydamm ihren dunklen Tunnel verlässt und zwischen riesigen Parkflächen an die Oberfläche kommt. Die bereits hinter den Messebauten hervorlugenden gelben Dachspitzen des „Fußball-Oper“ genannten Westfalenstadions wecken Sehnsüchte. Wenn doch bloß Spieltag wäre. Dann lassen schon beim Betreten des Stadionkessels hin und her schwingende Schallwellen aus Chören, Pauken und Trompeten die Lungenflügel flattern. Der Adrenalindunst „aufm Platz“ versetzt auch Unbeteiligte in höchste Erregung. Der Stadionzauber, der sich bei jedem Bundesligaspiel der Borussia entfacht, sollte auch die vier Gruppenspiele, die Achtelfinal-Begegnung sowie das Halbfinale begleiten. Er ließ die deutsche Mannschaft in dem bereits für die 74er-WM erbauten Stadion noch nie im Stich. Dank des Fifa-Kartenrouletts fehlt es diesmal zwar an zauberkundigem Dortmunder Publikum – aber sicher werden die angereisten Fans aus Trinidad & Tobago oder Togo eine kräftige Portion Voodoo-Zauber ins Stadion bringen.

Wer zur Weltmeisterschaftszeit in einem Dortmunder Hotel Quartier nimmt, muss Zeit mitbringen. Mindestens drei Tage, darunter soll kein Zimmer vermietet werden. Schließlich wurde das 30-tägige Entertainmentprogramm nicht vergeblich auf die Beine gestellt. Da sollen die WM-Touristen mal schön dableiben, sich alles angucken und die leeren Kassen füllen. Der Übernachtungszwang lässt sich jedoch leicht umgehen: Die Ruhrgebietsstädte liegen dicht beieinander, da kann jeder bequem auf eine Nachbarstadt ausweichen. Wer etwa in Essen in einem bahnhofsnahen Hotel absteigt, ist auch für nur eine Übernachtung willkommen. Mit der Regionalbahn erreicht man den Dortmunder Bahnhof in 20 Minuten. Für Bochumer Übernachtungsgäste geht es aber noch viel schneller: „Bin ’ne Zigarettenlänge vor Dortmund“, frohlockt der dort zugestiegene Mann in sein Handy.

In Dortmund angekommen, geht’s weiter mit der U 45 Richtung Westfalenhallen. Beim zweiten Halt knarzt es „Stadtgarten“ aus den Lautsprechern: Von hier aus gelangt man zum berühmten Friedensplatz. Dort fanden die grandiosen Meisterschafts- und Champions-League-Feiern der BVB-Anhänger statt. Während der WM gibt es hier eine fünfwöchige Fifa-Dauerfete, alle 56 WM-Spiele werden auf der „Videowall“ übertragen. Zum Begleitprogramm gehören „Top- Acts“ wie ein Auftritt der Musikgruppe „Juli“, ein interreligiöser Gottesdienst sowie eine Vorstellung internationaler Symphoniker. Ein Tag nach dem Halbfinale gibt es den „Kiddies-Day“ – natürlich mit der „Maus“.

Auch an der Haltestelle „Westfalenpark“ wird König Fußball gehuldigt. Die WM-Lounge mit dem „etwas anderen Ambiente“ lädt den „gestressten WM-Touristen und alle, die dem Trubel um den Ball entfliehen wollen“, zum Ausspannen ein, der Park lockt aber auch mit ballfesten Veranstaltungen wie „Kick it! Die Pido-WM-Party“.

Drei Minuten später heißt der U-Bahnhof „Westfalenhallen“, und der wurde extra für die WM schick gemacht. Wer hier aussteigt, taucht unter einer futuristischen Dachglaskonstruktion auf. Verloren steht jetzt da, wer nicht ortskundig ist. Die große runde Westfalenhalle mit ihren vielen kleinen Fenstern fällt als Erstes auf. Der mittelalterliche Wachturm bezeugt, dass die alte Reichsstadt Dortmund schon mehr als 800 Jahre auf dem Buckel hat.

Hinter der großen Westfalenhalle geht es in den „Rosengarten“. Der Platz mit seinen Heckenbögen ist erprobter Treffpunkt der Fußballfans. Schwächeperioden werden hier mit Nickerchen überdauert. Für die Gäste des dahinterliegenden „Fan Camps“ reicht das grüne Fleckchen jedoch nicht aus: Ihre 3.952 voll klimatisierten Betten befinden sich in den Hallen 4, 6, 7 und 8. Männer und Frauen schlafen getrennt. Nur Paaren ist eine Buchung in der „Mixed Zone“ gestattet. Verpflegung gibt es in Halle 5; das „Speisezimmer“ dient auch zur Gepäckaufbewahrung der WM-Touristen. Das erinnert ein bisschen an die Notunterkünfte bei Naturkatastrophen, nur ist die WM kein Erdbeben und auch kein Hurrikan. Deshalb kostet die Nacht in der Viererkoje wohl auch satte 35 Euro. Und auch beim „Wohnen und Feiern unter einem Dach“ ist es mit einer Nacht nicht getan. Wie in dem schönen grimmschen Märchen „Von Einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ müssen drei Nächte durchgehalten oder zumindest bezahlt werden.

Um das leere Stadion herum lärmen immer noch Bauarbeiten. Arbeiter montieren jede Menge Fahrradständer, denn diesmal gibt sich die WM ökologisch. Hinter den Südwesttribünen putzen Bagger noch ein großes Stück Brachland zur „Allee des Sports“ heraus. Die Stadionstraße „Im Rabenloh“ weiter entlang, vorbei an Parkhäusern und Messehallen geht es jetzt rechts durch eine Unterführung die Wittekindstraße hinab. Rechter Hand, an einem kleinen Platz mitten im Verkehr, befinden sich die schon seit langem ausgebuchten Hotels der höheren Preisklasse. Verkehrsinselklima ist typisch für die nähere Stadiongegend. Um ins idyllische Kreuzviertel zu gelangen, muss nur noch die vierspurige Schnellstraße überquert und links in eine kleine Allee eingebogen werden.

Die „Große Heimstraße“ gehört zu den ausgetretenen Pfaden der BVB-Fans. Am Südwestfriedhof vorbei geht’s zum U-Bahnhof Kreuzstraße. Hier befindet sich der B-Trieb. In der „Musikkneipe im Kreuz4Tel“ treffen sich nicht nur BVB-Fans vor dem Spiel. Allein die Frikadelle, die vor und nach jedem Stadionbesuch dringend empfohlen werden kann, ist den Besuch wert. Umsorgt von Wolfgang Gärtner, dem Wirt des Jahres 2000, erwacht Fifa-fern die Liebe zum Fußball und seinen Leuten. „Trotz des ganzen WM-Gerümpels“, klärt BVB-Fan Fritz Eckenga auf, „können, wenn nur das Wetter mitspielt, hier oder unter freiem Himmel zur WM ganz schöne Sachen passieren. Ich denke dabei an die Fan-Freundschaften des BVB zum Beispiel mit den Schotten. Die kommen auch ohne WM-Teilnahme ihrer Mannschaft hierher. England verlieren zu sehen genügt ihnen vollkommen.“ Für die Fan-Begegnung bietet das Kreuzviertel noch viele freundliche Anlaufstellen.

Doch jetzt geht es erst mal in den Zoo. Thema der öffentlichen Führung: Fußballmaskottchen.