: AMERICAN PIEGekonnte Flugeinlagen
Ganz vorsichtig, die Hände steckten in weißen Handschuhen, trug ein Offizieller der nordamerikanischen Eishockeyliga NHL die Prince of Wales Trophy auf das Eis. Mike Richards ging weniger vorsichtig zu Werke, als der Kapitän der Philadelphia Flyers den eher unbedeutenden Pokal vom aufgebauten Podest schnappte und schnurstracks damit in die Kabine kurvte. Die Flyers hatten kurz zuvor die Eastern Conference gewonnen.
Jonathan Toews, Spielführer der Chicago Blackhawks und Richards’ Gegenüber im anstehenden Stanley-Cup-Finale, hatte tags zuvor die Clarence S. Campbell Bowl für den Sieg der Western Conference nicht mal angefasst, denn es ist noch nichts erreicht in Chicago. Das Finale beginnt erst in der Nacht zu Sonntag.
Dass Richards den Pokal überhaupt entgegennahm, zeigt, wie unterschiedlich die Wege in die letzte Serie waren und die Erwartungen aktuell sind: Während die Blackhawks im Westen Zweite wurden und als einer der Favoriten auf den Titel in die Playoffs gingen, waren die Flyers eigentlich schon draußen. Erst in einem finalen Penaltyschießen gegen die New York Rangers am letzten Spieltag der regulären Saison sicherten sich die Flyers ein Playoff-Ticket – und setzten anschließend nicht gerade zu einem Flug durch die Playoffs an.
In der zweiten Runde lagen sie bereits mit 0:3 Spielen zurück. Die Boston Bruins brauchten noch einen Sieg in der Best-of-seven-Serie, doch die Flyers kamen zurück: „The greatest comeback in city’s history“ nannten die Daily News bereits den 3:3-Ausgleich der Serie, nicht wissend, dass die Flyers in Spiel sieben bereits nach einer Viertelstunde abermals 0:3 zurückliegen würden. Sieben Minuten vorm Ende schoss Simon Gagne das 4:3 für Philadelphia. Die Flyers waren erst das dritte Team der NHL-Geschichte, das einen 0:3-Rückstand in der Serie noch umbiegen konnte. Zuletzt gelang dies den New York Islanders 1975.
Im Eastern-Conference-Finale warteten die Montreal Canadiens. Platz sieben gegen Platz acht der Abschlusstabelle: Zwei „Cinderella Stories“ trafen aufeinander. Die Canadiens hatten zuvor die übermächtigen Favoriten aus Washington um Superstar Alexander Owetschkin und die ebenso übermächtigen Pittsburgh Penguins um Superstar Sidney Crosby aus dem Weg geräumt. Jeweils in sieben Spielen. Doch die deutlich defensiveren Flyers waren für Montreal nicht zu knacken.
Dass die Flyers durch diese Finalserie gegen die Kanadier nicht flogen, lag weniger an den Ergebnissen – vier Siege bei nur einer Niederlage – sondern vielmehr an einem auf den Namen „Skategate“ getauften Sabotage. Zumindest vermuteten die Flyers einen solchen Akt nach dem vierten Spiel der Serie in Montreal. Sand soll auf den Teppich zwischen Kabine und Bank der Flyers gestreut worden sein. Statt zu fliegen, krochen die Flyers übers Eis. Fünfmal ließ Mike Richards während des Spiels seine Kufen schleifen: „Offensichtlich ein bisschen zu häufig“, munkelte der 25 Jahre alte Kapitän anschließend, der dadurch, wie andere Spieler auch, Teile des Matches verpasste. Die Flyers gewannen dennoch mit 3:0.
Es war der dritte Playoff-Shutout von Michael Leighton, dem nominell zweiten Torhüter der Flyers; alle gegen Montreal. So etwas zieht selbst Sandkistenspielern den Zahn. Statistisch ist Leighton der beste Goalie der Playoffs: Sieben komplette Spiele, drei Shutous, ein „hot streak“.
Bleibt Leighton dermaßen heiß, könnte bald der Stanley Cup für Philadelphia aufs Eis getragen werden – und der würde bestimmt nicht umgehend in die Kabine gekarrt. JÜRN KRUSE