: Kunst? Kann das weg?
MODERNE Wer Kunsthass sät, sollte über Ikonoklasmus nicht klagen. Was Kritik am modernen Kunstbetrieb mit dem Münchner Kunstfund zu tun hat
■ schreibt als taz-Autor über Kunst und Politik. Wenn er schlechte Laune hat, geht er ins Museum oder in eine Galerie. Zuletzt schrieb er über die SPD und August Bebel und über den Berliner Nahverkehr als Kommunikationsutopie.
Seit einigen Generationen wagt der kleine, wir hätten fast gesagt, der normale Mann nicht mehr den leisesten Protest gegen den Haufen von Schrott und die Flut von Schmierereien, mit denen er von Galerien, Ausstellungen überschwemmt wird.“ Ephraim Kishon, der israelische Schriftsteller, wurde deutlich. In seiner Schrift „Picasso war kein Scharlatan“ aus dem Jahr 1983 holte der berühmte Autor zum großen Rundumschlag aus. „Ich glaube nicht, dass moderne Kunst die reine Gaukelei ist“, schrieb er, „ich weiß es.“
Der gelernte Goldschmied und studierte Kunsthistoriker schmähte da die Moderne in Gestalt der abstrakten Kunst als „monströse Fopperei“ und warf ihr „Deformation im Quadrat“ vor. Kritzeleien von Joseph Beuys oder Picassos zerklüftete Frauenköpfe stellte er in seiner Polemik neben Meisterwerke von Tiepolo oder Raffael und beklagte die „Massenhysterie“ der Moderne.
Rhetorik der Schmähung
Ganz so weit geht die Berliner Journalistin Nicole Zepter nicht. Ihr jüngst veröffentlichtes Pamphlet „Kunst hassen“ zeigt jedoch Parallelen mit den Argumenten des Mannes mit dem antimodernen Schaum vor dem Mund. Denn so wie Kishon, der sich zum „Fürsprecher der größten und schweigsamsten Mehrheit unseres Jahrhunderts“ ernannte, der sich als Anwalt des „breiten Publikums“ verstand, „dessen einzige Rolle darin besteht, das Spülwasser, womit man ihr Gehirn seit Generationen gewaschen hat, mit Dankbarkeit zu schlürfen“, will auch Zepter sich zur Anwältin eines entmündigten Publikums machen.
Kishon und Zepter stehen natürlich nicht alleine. Was wäre die Kunst ohne die Rhetorik der Schmähung, die sie seit Platons Kritik der Kunst als bloßer Mimesis begleitet. 1948 hatte der Kulturphilosoph Hans Sedlmayr in seiner Schrift „Der Verlust der Mitte“ die modernen Künste des „Transhumanismus“ bezichtigt. Die Abstraktion, so der Münchener Ordinarius, sei am Zerfall des Menschenbildes schuld. Eines, wohlgemerkt, das „nur als Ebenbild Gottes“ zu deuten sei.
Etwas prosaischer drückte es Matthias Lilienthal vor zwei Jahren aus. „Kunst finde ich ja immer erst mal Scheiße“, befand der Dramaturg und Theatermacher, zuletzt gefeierter Chef des Berliner Hebbel am Ufer (HAU) vor ein paar Jahren in einem fast schon sprichwörtlichen Bonmot. Was nicht so lebensnah ist, wie es sich der realitätssüchtige Theatermacher vorstellt, gilt der Lilienthal-Gemeinde seitdem als „Kunstkacke“ oder „Kunstkunst“.
Die Beweggründe der diversen Bekenntnisse zum „Kunsthass“ mögen unterschiedlich sein. Sie mögen intellektuell mehr oder weniger reizvoll sein. Und sie mögen als Folie für postmodernen Spott taugen.
Angesichts der wiederaufgeflammten Diskussion um die „Entartete Kunst“ im Gefolge des Münchner Kunstfundes, der alles andere als ein „Nazischatz“ war, bleiben diese Beweggründe einem dann doch schnell im Halse stecken.
Irritierende Ambivalenz
Denn das Knäuel aus Krimi und Drama, das sich in München entrollt, zeigt ja nicht nur, wie die Gesellschaft mit der angeblich so gründlichen und nachhaltigen Erinnerungskultur plötzlich wieder der Modergeruch des NS-Systems durchweht. Es ruft auch noch einmal das mörderische Klima der massenhaft entfesselten Kunstfeindschaft in Erinnerung. An dessen Ende standen das Verschwinden und die Zerstörung der Kunst.
Man muss diese Moderne heute, nur weil die Nazis sie zu eliminieren versuchten, nicht für sakrosankt erklären. Insofern wäre gegen eine gepfefferte Kunstkritik nichts einzuwenden. Doch der Grat ist schmal zwischen dem Plädoyer für eine weniger abgehobene, geniebereite Kunst und der populistischen Attacke, die am Ende dann doch nur wieder allzu weit verbreitete Ressentiments gegen die Moderne schürt.
Zepter fordert den Abschied von der „Kultur des falschen Respekts“. Mulmig wird es einem beim Blick auf die intellektuellen Konsequenzen, wenn sie, um zu verdeutlichen, wie sie das meint, einen Satz des Schriftstellers Clemens Meyer zitiert: „Kein Larifari, voll in die Fresse.“ Auch der beliebte Partyspruch „Ist das Kunst oder kann das weg?“, mit dem Kulturmuffel gern ihren Kunsthass ironisch ummänteln, zeigt vor dem Hintergrund des Münchner Wetterleuchtens plötzlich seine irritierende Ambivalenz.
Natürlich hat der Kunstbetrieb jede Menge Kritik verdient: Seine seltsamen Rituale, seine Herrschaftssprache, die überall gleichen Museen mit ihrem Einschläferungeffekt; Audioguide essen eigene Meinung auf. Doch gerade wer den „Verlust der Urteilskraft“ beim durchschnittlichen Kunstbetrachter beklagt, also desjenigen Vermögens, das ihn immun macht gegen Geschmacksoktrois wie die zur Nazizeit, sollte nicht selbst Vorurteile bemühen.
Schlechtester Ratgeber
Die zeitgenössische Kunst besteht keineswegs nur aus „sich wiederholenden Ideen, zusammengezimmerten Installationen, Kopien von Kopien“, wie Zepter uns in ihrer Abneigung gegen die Konzeptkunst glauben machen will. Genauso wenig wie die moderne Kunst des 20. Jahrhunderts „geisteskrank“ und „zersetzend“ war.
Schon klar, dass Zepters marktschreierischer publizistischer Schnellschuss nicht mit dem exterministischen Furor der Nazis zu vergleichen ist. Worte sollte man aber sorgsam wägen. Denn der Umgang mit der Kunst spiegelt wider, wie eine Gesellschaft mit Widersprüchen und Ambivalenzen umgeht. Wer Kunsthass sät, sollte sich später nicht über Ikonoklasmus beschweren.
Globalisierung, Digitalisierung, Kapitalisierung – die Welt hat sich in den letzten 20 Jahren rasant verändert. Und mit ihr die Kunst. Kunsthass ist das falscheste Mittel, diesen Wandel zu reflektieren. Hass ist ein schlechter Ratgeber. Und er verzerrt die Züge. Manchmal kann dieses starke Gefühl aber auch unbeabsichtigte Nebenwirkungen zeitigen. „Wenn mich ein neuer Stil stört, dann spricht das für die hohe Qualität des Stils. Wenn ich aber etwas regelrecht hasse, dann muss es ein Meisterwerk sein“, hat der amerikanische Kunstkritiker Leo Steinberg einmal geschrieben. INGO AREND