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Archiv-Artikel

Kleinkind von Mutter getrennt

Die Ausländerbehörde Unna inhaftiert eine Mutter im Abschiebegefängnis, ihren kleinen Sohn gibt sie in eine Pflegefamilie. Eine gemeinsame Unterbringung sei nicht möglich, heißt es

VON ANGELIKA CALMEZ

Seit sechs Wochen ist Grace O. von ihrem Kind getrennt. Obwohl das Innenministerium NRW die Trennung von Familien durch Abschiebungshaft nur in begründeten Ausnahmefällen erlaubt, befindet sich die Nigerianerin nun im Abschiebegefängnis in Neuss – getrennt von ihrem eineinhalbjährigen Sohn, der in einer Pflegefamilie untergebracht wurde.

Die Geschichte begann, als Grace O.* am 10. April ihre Abschiebung im Flugzeug vereitelte. Laut Anwalt soll sie sich unter anderem ausgezogen haben, der Kapitän verweigerte daraufhin den Abflug. Nun vertritt die Ausländerbehörde Unna die Ansicht, die Mutter habe im Flugzeug ihr Kind gefährdet. Details wollte die Behörde gegenüber der taz nicht äußern, Grace O. möchte nur über ihren Anwalt, Karl Wiemann, sprechen. Laut diesem heißt es bei der Behörde, die Frau habe sich auf ihr Kind geworfen. Wiemann sagt: „Sie hat sich schützend über es gelegt“.

Darüber hinaus scheint es aber zweifelhaft, ob die ungewöhnlich harte Familientrennung überhaupt mit diesen Vorwürfen zusammen hängt. Es gebe nur zwei Abschiebehaftanstalten in NRW, „da besteht keine Möglichkeit, Mutter und Kind zusammen unterzubringen“, sagte der Leiter der Ausländerbehörde, Hans-Ulrich Meier. Zudem bestehe für die Mutter Fluchtgefahr. „Wir haben schon oft die Erfahrung gemacht, dass nach einer gescheiterten Abschiebung beim zweiten Mal keiner da war.“

„Ein Kind von eineinhalb Jahren kann nicht selbstständig fliehen, die dazugehörige Mutter also auch nicht“, sagt hingegen der Anwalt. Zudem hätte, wenn Grace O. ihr Kind tatsächlich gefährdet haben sollte, das Jugendamt eingeschaltet werden müssen. Denn nur dieses hätte durch ein Gutachten über eine Trennung um das Wohls des Kindes willen entscheiden dürfen, sagt Wiemann. „Das Kind hat ein Recht darauf, in Freiheit mit seiner Mutter zu leben. Das Verhalten der Mutter kann dieses Recht nicht schmälern“, so der Anwalt.

Für dramatisch hält der Anwalt aber, dass die Nigerianerin und ihr Kind überhaupt abgeschoben werden sollten. Damit ignoriere die Behörde ein neues Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG), nach dem in Deutschland geborene Kinder, deren Vater ein Bleiberecht besitzt, auch in der Bundesrepublik bleiben dürfen. „Beide Eltern haben das Sorgerecht, also haben beide einen Rechtsanspruch darauf, für das Kind die Zukunft sicher zu stellen“, sagte Wiemann. Die Behörde habe das missachtet.

Der Leiter der Ausländerbehörde Meier sagte dagegen, das neue BVG-Urteil betreffe nur „Kinder, die in häuslicher Lebensgemeinschaft mit hier Bleibeberechtigten leben“. Tatsächlich teilt der Vater zwar das Sorgerecht mit Grace O. Er ist aber mit einer deutschen Frau verheiratet und lebt in einer anderen Stadt.

Offenbar stuft die Ausländerbehörde eine getrennt lebende Familie nicht als schützenswert ein. Nach der missglückten Abschiebung von Mutter und Kind sei der Vater nicht greifbar gewesen, hieß es bei der Pressestelle der Behörde. Dagegen hält Karl Wiemann: „Der Vater besucht sein Kind regelmäßig und berät die Mutter in Fragen der Erziehung.“ Das sei ausreichend, um für das Kind ein Bleiberecht anzustreben – und demzufolge eine Duldung für die Mutter.

Gegen die drohende Abschiebung prozessiert Wiemann nun vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und dem Landgericht Dortmund. So entscheiden nun die Richter, ob die Haft rechtmäßig war und wo Grace O. und ihr Sohn dauerhaft zusammen leben können. In Deutschland – mit einem Vater – oder in Nigeria – allein.

*Name von der Redaktion geändert