Genüsslich die RAF zerlegen...

… und die Nachkriegs-Linke gleich mit: Elfriede Jelinek lässt in ihrem Theaterstück „Ulrike Maria Stuart“ die Rivalinnen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin ein letztes Mal agitieren. Regisseur Nicolas Stemann zeigt zur Eröffnung der Hamburger Autorentheatertage am Thalia eine öffentliche Probe

Interview: Petra Schellen

taz: „Ulrike Maria Stuart“ spielt im Gefängnis Stuttgart-Stammheim und handelt vom Ensslin-Meinhof-Konflikt. Was interessiert Sie noch an diesem Thema? Ist das nicht ein bisschen zum Gähnen?

Nicolas Stemann: Genau das war mein erster Impuls. Ich habe zwar die letzten Jelinek-Stücke uraufgeführt, und wir wollen beide weiter zusammenarbeiten. Aber als ich hörte, dass sie aktuell den Meinhof-Ensslin-Konflikt bearbeitet, dachte ich: Schade, dann kann ich das eben nicht machen. Dann habe ich Auszüge gelesen und bemerkt, dass Jelinek höchst komplex die ganze deutsche Nachkriegslinke dekonstruiert. Sie zerlegt Feminismus, Kommunismus und Terrorismus – also alle Befreiungs- und Utopiebewegungen der letzten 40, 50 Jahre. Eben alles, was man mal so gedacht hat – da war ja auch viel Quatsch dabei.

Wie bewerkstelligt Jelinek diese Abrechnung?

Wenn sie beim bloßen Resümieren stehen bliebe, würde man sagen: Nun, da kann ich der alten Dame wieder mal beim Entrümpeln ihrer ideologischen Dachkammer helfen. Aber in diesem Stück gibt es immer wieder Stellen, die in die Gegenwart ragen. In denen eine Beschreibung der aktuellen Situation versucht wird. Wo der zunehmend aggressive Kapitalismus gegeißelt wird, der begonnen hat, sich gegen uns zu wenden. Das passiert allerdings dummerweise in einem Moment, in dem wir uns damit abgefunden haben, dass es keine Alternative gibt. Also gerade, wenn man die Linke – oder die RAF – am nötigsten brauchte, ist sie erledigt. (Lacht). Um diese Leerstelle kreist das Stück.

Wie geschieht das konkret?

Wenn man die Geschichte der RAF anhand des Konflikts dieser beiden Frauen erzählt, ist das doch im Grunde Bernd Eichingers „Der Untergang, Teil zwei“. Nach dem Motto „Die letzten Tage im Stammheimer Führerbunker – Wie waren die Führerinnen denn eigentlich privat?“ Und da geht dem Zuschauer ja bekanntlich das Herz auf; das hat dann diesen Kuschel-Effekt. Auch Jelineks Stück ist nicht frei von dieser Sentimentalität, obwohl es ihr Ziel ist, dieses Menschelnde zu stören. Um das zu tun, muss man sich wohl erst mal reinkuscheln: über die Tragik der Ulrike Meinhof, die mit Ende 30 nichts Besseres zu tun hatte, als mit irgendwelchen spätpubertären Deppen etwas zu tun, was politisch eine Farce ist. Denn nach spätestens einer Woche im Untergrund muss sie bemerkt haben, dass das kein Weg war. Ihr Selbstmord in Stammheim hatte wohl etwas damit zu tun. Zugleich hat die Erkenntnis der Sinnlosigkeit eine allgemeine Dimension: Auch bei Jelinek bleibt – nachdem die erwähnten Mythen demontiert sind – Leere. Genau das ist aber der Moment, in dem Menschen dann wieder mit der Waffe in der Hand in die Illegalität springen wollen. Oder in die Relevanz der politischen Bewegung.

Was hat das mit unserer aktuellen gesellschaftlichen Situation zu tun?

Eine Menge. Denn die – von Jelinek benannte – Ausgangssituation ist die, dass man sagt, eigentlich müsste eine ganz Menge geschehen. Etliche Missstände liegen im System. Trotzdem hat man nichts dagegen in der Hand. Also würde man gern etwas Irrationales tun und in die Tat fliehen – wie die RAF-Leute. Nur, dass wir heute den Sprung in die Tat nicht mehr schaffen.

Wo treffen sich in Ihrer Inszenierung Vergangenheit und Gegenwart?

Wir lassen an einer Stelle Ulrike Meinhof die Ruck-Rede Roman Herzogs sprechen – etwas, das nicht im Stück steht. Da sagt die Meinhof dann, es liege eine Lähmung über diesem Land, und das könne nur der Einzelne verändern. In dieser Analyse liegen RAF und Herzog gar nicht so weit auseinander.

Und ansonsten besteht das Stück wie immer bei Jelinek, aus endlosen Monologen?

Über weite Strecken schon. Zum Ende hin wird es allerdings fast psychologisch. Da muss Jelinek etwas passiert sein, das ihr im Nachhinein wohl selber peinlich war, weil sie genau das immer verurteilt: Sie hat Meinhof und Ensslin passagenweise als echte Figuren geschrieben. Mit relativ kurzen Texten, die fast als Dialog durchgehen könnten.

Wie konnte das passieren?

Ich glaube, dass sie sich mit den beiden identifiziert. Denn Meinhof und Ensslin sind Frauen, die versuchen, über das Schreiben als Frau in der Welt vorzukommen. Die versuchen, links zu handeln, darin aber gescheitert sind. Und jetzt reden sie darüber und haben außerdem diesen Eifersuchts-Frauenkonflikt.

Was konfliktet sich da: Zwei Ideologien oder zwei Menschen?

Ich glaube, es sind zwei Seiten von Frausein: Ensslin ist die, die in der Boutique verhaftet wurde, weil sie zu lange vorm Spiegel stand … durchaus ein Teil des Mode-Junkies Jelinek. Meinhof dagegen ist die, die denkt, schreibt, sich zurückzieht. Und die die ganze Zeit damit hadert, das sie ihre Kinder verlassen hat – also im Grunde ein Nora-Konflikt. Hier finden sich also zwei Seiten gesellschaftlicher Zuschreibung von Frausein: Entweder geht man in der Boutique zugrunde – oder am Muttersein. So beschreibt es jedenfalls Jelinek.

Wie ist das Stück konkret konstruiert?

Es gibt drei Teilstücke: Zunächst den Chor der Prinzen und der Greise: Mann und Kinder, die mit der Mutter reden, und die Mutter – Ulrike Meinhof – erklärt sich ihnen. Der zweite Teil – „Die Königin“ – gilt Gudrun Ensslin und wird ständig unterbrochen von einem Engel aus Amerika.

Seine Funktion?

Er erzählt sehr unterschiedliche Dinge. Einmal, dass Revolutionsbewegungen so nicht mehr funktionieren und grundsätzlich gescheitert sind. Später kommt er als Andreas Baader wieder, der nicht nur die gesamte Linke auslacht, sondern sämtliche revolutionären Bewegungen inklusive der Französischen Revolution. Er verlacht sie als sinnlose Konstrukte, in die der Mensch sowieso nicht hineinpasst. Und er, Baader, weiß das. Der dritte Teil zeigt das Duell der Königinnen im Kerker. Am Schluss steht der Tod Ulrike Meinhofs. Hier gewinnt man allerdings den Eindruck, dass die Jelinek selbst spricht. Es wirkt, als sei da eine Dichterin am Verstummen, die sagt: Ich habe immer nur geschrieben, aber es hat nichts gebracht. Alles, was ich gedacht und gewollt habe, hat nichts gebracht, und mir bleibt nur noch: schlafen, schlafen, schlafen.

Was passiert beim Duell der Königinnen? Reden die beiden nur über Persönliches?

Nein, es mischt sich ständig Politik und Persönliches, Ideologie und Leben. In den Niederungen des Lebens – da geht‘s dann vielleicht doch nur um den Mann mit den blauen Augen und nicht darum, die Arbeiterklasse zu befreien. Andererseits sind da die hehren Ideale. Beides passt nicht zusammen, und das eine hintertreibt ständig das andere.

Dabei hätten sich die Revolutionärinnen innerhalb ihrer eigenen Gruppe schon mal von konventionell weiblichen Verhaltensmustern verabschieden können…

Ja. Und für Jelinek ist das wohl das Enttäuschende: dass gerade Frauen, die sich in eine Vorreiterposition begeben, sich genauso blöd verhalten, wie man es gemeinhin von Frauen erwartet. (Lacht). Darüber ist sie, glaube ich, ziemlich enttäuscht.

Und Sie? Distanzieren Sie sich in Ihrer Inszenierung davon oder bilden Sie es eins zu eins ab?

Ich gestehe, dass mich das Frauenthema nur am Rande interessiert. Andererseits kann ich diese Ebene nicht draußen lassen, und es hat natürlich auch eine Faszination, dass diese beiden Frauen den Mut hatten, das durchzuziehen. Und sich andererseits solch einem Deppen in die Arme geworfen haben.

Wie gestaltet sich die Machtverteilung zwischen den beiden? Und wo findet sich Schiller in diesem Stück?

Maria ist moralisch überlegen, während Elisabeth real mehr Macht hat. Da enden aber auch schon die inhaltlichen Parallelen zu Schiller. Formal gibt es die durchaus: Große Teile des Stücks sind in Versen geschrieben.

Ein Beispiel?

Nun, stellen Sie sich vor, RAF-Kassiber in Schiller-Sprache zu rezitieren. Da findet eine interessante Überschreibung statt. Aber vielleicht ist das Thema nur so rezipierbar – indem man es als Märchen aus längst vergangener Zeit erzählt und sagt: Es gab einmal zwei Frauen, und die waren im Kerker… Das ist ein interessanter Kunstgriff. Und eins lässt man sich als Theatermensch natürlich nicht nehmen: die schönen Schiller‘schen Königinnenkostüme!