: „Verlässlich, unbequem und anspruchsvoll“
Alfred Schumm, Chef-Meeresschützer beim WWF, im taz-Interview über unverminderte ökologische Probleme in Nord- und Ostsee, die Macht der Chemiekonzerne und seine Bedenken gegen die weitere Elbvertiefung
taz: Gibt es in Nord- und Ostsee überhaupt noch ökologische Probleme, Herr Schumm, die der WWF zu lösen hätte?
Alfred Schumm: Leider gibt es noch viele Probleme. Zum Beispiel die Überfischung, speziell bei Kabeljau und Scholle, oder die ungeminderte Meeresverschmutzung durch giftige Chemikalien und Pestizide aus der Landwirtschaft.
Hat sich das nicht gebessert seit der Stilllegung der Dreckschleudern in Polen, Tschechien und der DDR?
Die Mengen sind zwar geringer geworden, aber es gibt keine wirkliche Erholung. Nicht in der Nordsee, vor allem aber nicht in der Ostsee. Und in Polen wird jetzt die Landwirtschaft mit EU-Geld großflächig gefördert, das wird die Einträge an Pestiziden, Nitraten und anderen Giften eher wieder erhöhen. Zudem sind diese Stoffe sehr langlebig. Die lagern sich in den Sedimenten ab, werden immer wieder reaktiviert und aufgespült und reichern sich in Pflanzen und Tieren an.
Dieser Kreislauf ist nur zu durchbrechen durch Ausbaggern, das ist unbezahlbar. Oder durch die Selbstreinigungkräfte der Flüsse, das dauert aber. Die Wiederherstellung von Überflutungsflächen, auf denen sich diese Stoffe ablagern, kann das beschleunigen, aber auch das ist nicht umsonst zu haben.
Vor 20 Jahren galt die Elbe als dreckigster Fluss Europas, aber jetzt soll man die Flussfische doch wieder unbedenklich essen können?
Die Elbe und andere Flüsse sind viel sauberer geworden, Cadmium, Blei und andere hochgiftige Schwermetalle sind nicht mehr das Problem. Hinzugekommen ist neuerdings eine große Menge an Stoffen, die hormonell wirken. Sie sind enthalten in Plastik, in Kleidung und sehr viel in elektronischen Geräten. Die geraten irgendwann auch in die Flüsse und in die Meere. Einige schwächen das Immunsystem von Tieren, andere reduzieren die Fruchtbarkeit, das können wir bis hin zu den Eisbären in der Arktis nachweisen, und sie führen sogar zu Geschlechtsumwandlungen, zum Beispiel bei Meeresschnecken.
Die Probleme sind nicht weniger geworden, es gibt nur andere als früher?
Ja, und sie sind heute verdeckter. Deshalb muss die Chemieindustrie verpflichtet werden, nur sichere Stoffe zu verwenden oder umweltgefährdende nur in geschlossenen Systemen. Das ist nur zu lösen über EU-Gesetze. National ist das nicht durchsetzbar, dazu sind die Gestaltungsmöglichkeiten selbst der Bundesregierung gegenüber den hiesigen Konzernen zu gering. Die Machtfrage ist eindeutig geklärt, da ist nichts zu erreichen.
Der WWF ist unter den großen Umweltschutzverbänden in Deutschland derjenige, der am wenigsten auf Spektakuläres setzt, sondern vor allem auf Lobbyarbeit.
Spektakuläre Aktionen sind nicht unser Schwerpunkt, das können andere besser. Unser Weg ist es, Lösungen zu suchen, auch wenn das oft mühsam ist. In der Fischindustrie zum Beispiel haben wir in langen Verhandlungen und mit viel Überzeugungsarbeit den MSC-Standard erreicht. Dieses Zertifikat „Maritime Stewardship Council“ sagt den Verbrauchern, ihr Filet oder Fischstäbchen stammt aus verantwortungsvoller Fischerei, die Fischbestände und Meeresumwelt schont. Das ist unser Ansatz. Die Rahmenbedingungen müssen aber strikt und verantwortbar sein.
Das heißt im Klartext?
Nehmen wir, da wir gerade nach Hamburg gezogen sind, die Elbvertiefung: Die ökologische Lage des Flusses ist katastrophal. Über die weiteren Ausbaggerungspläne würde der WWF nur reden, wenn die ökologische Situation der Elbe messbar und relevant verbessert werden kann. Das beinhaltet auch die Suche nach technischen Lösungen und neuen Schifffahrtskonzepten. Als Alibi für Scheinlösungen jedoch – fünf Zentimeter weniger baggern und eine Ausgleichsfläche mehr schaffen – steht der WWF nicht bereit.
Da wird der Hamburger Senat aber begeistert sein.
Bestimmt nicht. Die Stadt heißt uns am Standort Hamburg herzlich willkommen. Deshalb werden wir aber nicht bequem sein. Wir sind verlässliche Partner, aber anspruchsvolle.
Interview: Sven-Michael Veit