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Archiv-Artikel

Ungeliebtes Muskelpaket

Baseballer Barry Bonds klettert mit dem 714. Homerun seiner Karriere auf Platz zwei der ewigen Bestenliste. Wegen seiner Doping-Vergangenheit schlägt ihm eine Welle der Abneigung entgegen

VON THOMAS WINKLER

Tyler Snyder ist 19 Jahre alt, ein großer Baseball-Fan und seit Samstag um vermutlich einige hunderttausend Dollar reicher. Der Grund: Snyder hat einen Ball gefangen. Nicht irgendeinen Ball, sondern den 714. Ball, den ein gewisser Barry Bonds bei einem Spiel der Major League Baseball (MLB) in die Zuschauerränge befördert hat. Weil Bonds mit diesem Homerun, der ihm am Samstag bei den Oakland Athletics gelang, mit der Ikone Babe Ruth gleichzieht, ist der Ball automatisch zu einem Erinnerungsstück mit historischer Bedeutung geworden, zu einer Preziose mit exorbitantem Sammlerwert. Allzu dankbar war der Teenager seinem Wohltäter aber trotzdem nicht: „Ich hasse den Typen.“

Damit steht Snyder nicht allein. Allzu beliebt war der als arrogant geltende Bonds noch nie, doch seit vor wenigen Monaten ein Buch erschien, in dem in allen Details seine Dopingpraxis geschildert wird, begleitet das Publikum seine Rekordjagd endgültig mit offener Abscheu. In San Diego wurde ihm eine Spritze vor die Füße geworfen, in Houston verkleidete sich ein Fan als Spritze. Wo auch immer Bonds in dieser Saison mit seinen San Francisco Giants antrat, erwarteten ihn Schilder und Transparente mit Missfallensbekundungen. Die Enkelkinder von Ruth nahmen die Einladungen der Giants, den Versuchen von Bonds beizuwohnen, ihren Großvater einzuholen, demonstrativ nicht an. Die MLB verkündete, Bonds für seine Leistung nicht zu ehren. Allein bei Heimspielen wird dem Kraftpaket noch zugejubelt. Und auch in Oakland mischten sich nur vereinzelte Buhrufe in den Beifall. Viele der Fans waren aus dem nur wenige Meilen entfernten San Francisco angereist, um die historische Tat mitzuerleben.

Der 41-Jährige fühlte denn auch „große Erleichterung“, den Meilenstein endlich erreicht zu haben. Vor allem die beiden vergangenen Wochen seit seinem letzten Homerun am 7. Mai in Philadelphia waren zur Tortur geworden mit einem Reportertross, der ihn verfolgte und die immer gleichen Fragen stellte nach Babe Ruth und den Anabolika. Bei der Pressekonferenz nach dem geschichtsträchtigen Homerun bemühte er sich denn auch, einen bescheidenen Einruck zu hinterlassen und vergessen zu machen, dass er noch vor drei Jahren angekündigt hatte, den verehrten Babe Ruth aus den Rekordbüchern „zu löschen“.

Zu seinen damaligen Äußerungen wollte Bonds an diesem Tag keine Stellung beziehen, er könne sich nicht mehr erinnern, was er gesagt habe. Er wisse nur, „es ist jetzt geschafft“. Zudem fühle er sich nun endlich angekommen „auf demselben Niveau wie Babe Ruth“. Genau diese Einschätzung aber lehnt die große Mehrheit der Baseball-Fans ab. Während Ruth in seiner aktiven Zeit von 1914 bis 1935 als leistungssteigernde Mittel allein Alka-Seltzer zur Verfügung stand, mit dem die trinkfeste Legende den morgendlichen Kater bekämpfte, wurde Bonds vom berüchtigten Balco-Labor mit den neuesten High-Tech-Drogen versorgt, mit deren Hilfe sich der womöglich talentierteste Allround-Spieler aller Zeiten in eine muskelbepackte Homerun-Maschine verwandelte.

Um allerdings der erfolgreichste Homerun-Hitter aller Zeiten zu werden, müsste der aufgrund der bis zu dieser Saison äußerst laxen Anti-Doping-Politik der MLB noch nie positiv getestete Bonds noch 41 weitere Bälle über den Zaun prügeln. 755-mal gelang das Hank Aaron. Doch als der Afroamerikaner Aaron im Jahre 1974 Babe Ruth überholte, bekam er säckeweise rassistische Hassbriefe und Morddrohungen. So gesehen verläuft Barry Bonds’ Marsch in die Rekordbücher noch vergleichsweise entspannt.