piwik no script img

Archiv-Artikel

Gegenrede einer Auster

Bahnchef Mehdorn erhält die „Verschlossene Auster“, den Preis für Informationsblockierer – und revanchiert sich

Mehdorn: „Ich registriere mit Wehmut, dass der gute alte Journalismus, der auf fundierte Recherche setzt, weniger wird“

Knauserigkeit bei TV-Drehgenehmigungen in Bahnhöfen, anonyme Anschuldigungen gegen Mitarbeiter des Bundestagsverkehrsausschusses, Anzeigenboykott gegen Wirtschaftsmagazine, die mit negativem Einschlag über die Finanzen der Bahn und ihre Börsenpläne berichten – der Mann war fällig: Die „Verschlossene Auster“, der Preis des Netzwerk Recherche für Informationsblockierer und Transparenzverhinderer, geht 2006 an Bahn-Chef Hartmut Mehdorn.

Und dem glaubt man gern, dass er am liebsten selbst zur Jahrestagung der Journalistenvereinigung gekommen wäre, um die Trophäe abzuholen. Allein, die Einladung kam zu knapp. So blieb es bei einer Gegenrede in Schriftform, die wieder einmal aufs Schönste zeigte, wie der Herr tickt: Informationsblockade könne man der DB AG schon allein deswegen nicht vorwerfen, hat Mehdorn ausrechnen lassen, weil die doch mit 4.600 Pressemitteilungen, über 500 Pressekonferenzen sowie dem „täglichen nationalen und internationalen Pressespiegel von mindestens 50, manchmal sogar bis 100 Seiten“ alles andere als eine Politik der Abschottung betreibe.

Problematisch wird’s nur, wenn die Berichterstatter den von der Bahn vorgegebenen Pfad der Informationstugend verlassen und über die Konzernverlautbarung hinaus recherchieren: Als das Wirtschaftsmagazin Capital im Februar unter dem Titel „Mehdorns Malaise“ berichtete, die Finanzen drohten „aus dem Ruder zu laufen“, stornierte die Bahn alle Anzeigen.

Doch Mehdorn sieht die Malaise ganz woanders: „Ich registriere mit einer gewissen Wehmut, dass der gute alte Journalismus in Deutschland, der auf fundierte und seriöse Recherche setzt, leider immer weniger wird“, so die Auster in ihrer Gegenrede. Und so werde „auch über die Bahn manches geschrieben und gesendet, was sich schon bei oberflächlicher Kenntnis der Materie verflüchtigt“. Warum die Bahn – wie auch im Fall Capital – allerdings nie gegen die angeblich so gar nicht recherchierten falschen Behauptungen vorgeht, sondern es beim Rumgenöckel über den Niedergang des Journalismus belässt, dazu schreibt Mehdorn in seinem Dankesbrief leider – nichts.

Sei’s drum: „Die Auster wird einen Platz in meinem Büro erhalten“, verspricht der Bahn-Chef – und rächt sich am Netzwerk Recherche auf die seinem Konzern eigene subtile Art: Bei der Diskussion zum Thema BND und Journalisten bleibt der Stuhl des SPD-Geheimdienstexperten Dieter Wiefelspütz lange leer. Sein Zug hatte Verspätung.

STEFFEN GRIMBERG