: „Unser Zusammenleben war unmöglich“
Montenegros Präsident Filip Vujanović über die Gründe für eine Unabhängigkeit seines Landes von Serbien, Belgrads fehlende Verhandlungsbereitschaft sowie die ersten Schritte Podgoricas nach einem erfolgreichen Referendum
taz: Warum soll Montenegro ein unabhängiger Staat werden?
Filip Vujanović: Die emotionalen Gründe dafür sind in der Geschichte, die pragmatischen in der Perspektive der wirtschaftlichen Entwicklung zu suchen. Die jahrhundertelange faktische Unabhängigkeit Montenegros wurde 1878 auf dem Berliner Kongress bestätigt. Wir waren der 27. Staat auf der Welt, heute gibt es über 200 Staaten. So besteht ein natürliches Bedürfnis der Bürger Montenegros nach der Erneuerung der eigenen Selbstständigkeit. Ökonomisch kann ein souveräner Staat effektiver seine wirtschaftlichen Ressourcen nutzen.
Warum hat die Staatengemeinschaft mit Serbien nicht funktioniert?
Laut Verfassungsurkunde hätten Serbien und Montenegro nur eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik machen sollen. Nicht einmal das hat funktioniert. Das Zusammenleben von zwei so grundverschiedenen Ländern hat sich als unmöglich erwiesen. Ihre Größe und die Anzahl der Bürger sind völlig unproportional. Serbien finanzierte zum Beispiel die gemeinsamen Streitkräfte zu 94 Prozent. So ist es unmöglich, und es wäre auch unfair, dass die Teilrepubliken gleichberechtigt in der Militärführung vertreten sind und mitentscheiden können.
Reden Sie mit der serbischen Regierung über die eventuelle Unabhängigkeit?
Nein. Der Premier Serbiens, Vojislav Koštunica, hat jegliche Gespräche darüber abgelehnt. Wir haben noch vor einem Jahr einen Bund unabhängiger Staaten als mögliche Lösung vorgeschlagen. Belgrad wollte weder darüber noch über die künftigen Beziehungen der zwei Staaten nach dem Referendum reden. Koštunica und Minister, die seiner Partei angehören, nehmen an der Kampagne des montenegrinischen Blocks für den gemeinsamen Staat teil. Sie verkünden, dass im Falle einer Unabhängigkeit die Grenzen zwischen Serbien und Montenegro geschlossen werden. Sie reden über eine Visapflicht, darüber, dass Montenegriner in Serbien und Serben in Montenegro als Ausländer Studiengebühren und Krankenversicherung zahlen müssen. Die Kampagne der Unionisten steht unter der Schirmherrschaft von Koštunica. Es ist eine äußerst negative Botschaft, die aus Belgrad kommt.
Was werden Sie als Erstes tun, wenn das Referendum am Sonntag erfolgreich ist?
Wir werden uns zuerst an Brüssel und Belgrad wenden. Unsere Infrastruktur ist auf die Unabhängigkeit vorbereitet. Wir erwarten, dass der Prozess er Integration Montenegros in Europa fortgesetzt wird und wollen der Partnerschaft für Frieden und Zusammenarbeit beitreten. Die Suspendierung der Verhandlungen über das Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen mit Belgrad wegen der Nichtauslieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers General Ratko Mladić würde Montenegro nicht mehr belasten. Mit Serbien wollen wir die Beziehungen entsprechend den europäischen Standards regeln. Wir setzen uns für offene Grenzen, freien Kapital- und Warenverkehr, völlige Gleichberechtigung der serbischen Bürger in Montenegro, und der montenegrinischen Bürger in Serbien ein.
Das wäre ja mehr als im gemeinsamen Staat.
Absolut. Wir haben heute nicht einmal Zahlungsverkehr mit Serbien. Unsere Unternehmen müssen Geschäfte in Serbien über ausländische Banken abwickeln.
Die Bevölkerung Ihres Landes ist in Sezessionisten und Unionisten gespalten. Fürchten Sie Unruhen?
Nein. Ich glaube, dass sich die durch die Ungewissheit und großen Erwartungen geschürten Leidenschaften nach dem Referendum legen und beide Seiten das Ergebnis anerkennen werden.
INTERVIEW: ANDREJ IVANJI