piwik no script img

Der Tanz der Verbannten

HIPPEN empfiehlt In „Tangos – El exilio de Gardel“ beschrieb Fernando E. Solanas 1985 das Exil von Argentiniern in Paris als filmisches Musikstück

Solanas inszenierte kongenial seinen Film strukturell und atmosphärisch wie einen der Tangos von Astor Piazzolla

VON WILFRIED HIPPEN

Paris ist wie sonst nur noch Venedig ein mystischer Sehnsuchtsort: das romantische Ziel vieler imaginärer und realer Wunschreisen. Aber es gab und gibt auch jene, die dort im Exil gestrandet sind, keine Augen für seine Schönheit haben und die „Stadt der Liebe“ lieber heute als morgen wieder verlassen würden.

Für diese Ironie findet Fernando E. Solanas gleich zum Beginn seines Films „Tango -- el exilio de Gardel“ ein poetische Bildfolge, wenn er die Mitglieder einer argentinischen Künstlergruppe einen Tango am Ufer und auf den Brücken der Seine tanzen, singen und auf dem Bandoneon spielen lässt. Paris ist hier menschenleer, grau und kalt. Wärme spenden nur die Bewegungen und Gesichter der Spielenden. Und die Musik - die nicht aus dem gezeigten Instrument kommt, sondern eine der prächtigen, melancholischen Einspielungen von Astor Piazzolla ist.

Dessen hochartifiziellen Tangos, sowie die kongeniale Art, in der Solanas seinen gesamten Film strukturell und atmosphärisch wie einen dieser Tangos inszenierte, machen diesen Film aus dem Jahr 1985 heute noch sehens- und natürlich hörenswert. Deswegen ist er auch in der Filmreihe „See the music“ des Kino 46 gut aufgehoben, in der schon seit einigen Wochen beispielhafte Spielfilme mit außergewöhnlichen Soundtracks gezeigt werden. So in dieser Woche übrigens auch „21 Grams“ von Alejandro Gonzáles Inárritu mit den eindeutig von Piazolla inspirierten Neo-Tangos von Gustavo Santaolalla und im Juni dann Polanskis „Wenn Katelbach kommt“ mit dem stilbildenden Jazzscore von Krzysztof Komeda.

Aber Solanas hat mit „Tango“ nicht „nur“ einen Musikfilm gemacht, denn das „exil“ war ihm nicht nur im Titel genauso wichtig. Der argentinische Regisseur und Drehbuchautor unterstützte in den 70er Jahren in seiner Heimat Perón und ging 1976 nach Paris ins Eil, nachdem einer seiner Schauspieler ermordet und er selber beinah entführt worden wäre.

Er ging 1983 nach Argentinien zurück und machte über die Erfahrungen der Heimkehr nach dem Exil drei Jahre nach „Tango“ das Filmgedicht „Sur“ mit dem er international bekannt wurde. „Tango“ ist dagegen voller hoffnungsloser Heimweh nach der endgültig verloren geglaubten Heimat, und auf einer Ebene ist dies auch eine Autobiografie des im Exil lebenden Künstlers, in der das alltägliche Leben der argentinischen Exilanten jener Zeit gezeigt wird.

Der wie ein Tinitus allem unterliegende Grundton der Angst, die Gier nach Briefen von den Zurückgebliebenen oder die Sorgsamkeit, mit der Rituale wie das Matetrinken gepflegt werden. All das zeigt Solanas in realistischen Spielszenen, in denen es vordergründig um die Schwierigkeiten einer Gruppe von Künstlern geht, ein Stück über das Exil des Tangosängers Carlos Gardel auf eine Bühne in Paris zu bringen. Als eine Art running gag sieht man etwa in jeder der drei Strophen des Films, mit welchen Tricks ein öffentliches Telefon so präpariert wird, dass damit umsonst in Argentinien angerufen werden kann.

Nicht nur mit der Einteilung in Strophen, sondern auch mit einem jeweils beginnenden, gesungenen Refrain und der letztlich dann doch eher lyrischen als prosaischen Erzählform versuchte Solanas spielerisch Film und Tango zu vermischen.

So stehen eher klassisch gefilmte Tanzszenen neben surrealen Traumvisionen wie jene, in der Gardel selber von seinem Exil erzählt und dann auf einem Grammophon seinen Tango „Volver“ (“Heimkehr“) auflegt, den man heute, nachdem Pedro Almodóvar 2005 einen Film nach ihm benannte, mit ganz anderen Ohren hört.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen