: Künstler der Bonner Republik
Der Silvesterkrach war ein festes Ritual. Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre gehörte er bei uns zum Jahreswechsel wie Böller und Bowle. Kaum streckten Dieter Hildebrandt und seine Lach- und Schießgesellschaft ihre Nase in unser Wohnzimmer, lagen Vater und Sohn im politischen Beißkrampf. Hildebrandt stand unter Linksverdacht, der Sohn liebte, der Vater verachtete ihn. Es war die Zeit, als Fernsehen noch provozieren konnte, als es nur zwei Sender gab und Kabarettsendungen 50 Prozent Einschaltquote erreichten.
Eigentlich guckten alle an Silvester immer Hildebrandt. Hildebrandt und seine Lach- und Schießcombo waren die einzige Stimme im Fernsehen, die das konservative Lager frontal attackierte. Auch wenn man ihn gar nicht mochte, war man Hildebrandt-Fan. Es ging schließlich gegen Strauß, Filbinger und Konsorten. Großartig war in den 80ern die legendäre Sendung zum Rhein-Main-Donau-Kanal, dem dümmsten Projekt deutscher Verkehrsgeschichte. Hildebrandt hatte einen Glanztag, er war giftig wie nie. Später gab es interessantere, vor allem bösartigere Kabarettisten. Hildebrandt war ein Künstler der Bonner Republik, ein Mann des alten Lagerdenkens.
MANFRED KRIENER, TAZ-AUTOr