: Den ersten beißen die Ratten
Kenneth Anger ist ein Held: Ohne ihn wäre David Lynch ein Nichts, Martin Scorsese ein Mittelklasseregisseur und der Stones-Hit „Sympathy for the Devil“ ungesungen geblieben. Nur verbirgt er seine Größe vor der Welt: Sonst zurückgezogen in L.A., momentan aber auch im Bremer Künstlerhaus am Deich
von Benno Schirrmeister
Sensation, Sensation, Sensation! Man muss es natürlich wissen, sonst bekommt man’s nicht mit: Das zweizimmerwohnungs-kleine Bremer Künstlerhaus am Deich ist ein eher unauffälliger Kunst-Ort. Und dass Kenneth Anger nicht nur einen ausgesprochen sinnfälligen Künstlernamen hat, sondern eine Ikone ist, ein Neuerer und Held, verbirgt er recht geschickt. Anger beharrt darauf seine Filmkunst nur für sich zu machen. Und für seine Freunde.
Ärger, Ingrimm oder Zorn heißt anger auf Deutsch, so will es das Wörterbuch. Erläuterungen zu den Namen seiner Freunde gibt’s im Lexikon: Jean Cocteau, Jean-Luc Godard, David Lynch, Rainer Werner Fassbinder, Martin Scorsese oder auch Mick Jagger. Jagger zum Beispiel ist Anger Anfang ’68 begegnet. Der Song „Sympathy For The Devil“ kam dann im Sommer in die Charts. Die „Rolling Stones“ sind derzeit auf Welttournee. Kenneth Anger bekommt seine erste deutsche Einzelausstellung im klitzekleinen Bremer Künstlerhaus und lebt zurückgezogen in L.A.; man darf sich vorstellen, dass ‚zurückgezogen‘ eine abgefuckte Hinterhofbutze umschreibt, wo es durchs Dach regnet und die Ratten ab und zu vorbeischauen und sagen: „Guten Tag Herr Anger, wie geht’s uns denn heute, mal wieder einen Film gedreht?“
Kenneth Anglemyer wurde 1927 in Santa Monica, USA, geboren. Mit elf Jahren begann er zu filmen. Der Durchbruch in der Off-Szene kam 1949. Die hatte damals in Frankreich ihr Hauptquartier und speiste ihr Selbstgefühl aus einer proklamierten gesellschaftlichen Ächtung. Eine wichtige Plattform hieß: Festival du Film Maudit – Festival des verfluchten Films, wobei ‚verflucht‘ metaphysisch gemeint war. Das Werk, das Anger dort einreichte, hieß „Fireworks“. Gedreht hatte er’s zwei Jahre zuvor, als die Eltern übers Wochenende verreist waren. „Fireworks“ gilt als erster Film, der Homosexualität offen in Szene setzt, poetisch in flackerndem Schwarz-Weiß und zugleich ironisch – oder wie wäre das Brustzucken eines muskelstrotzenden Männerbodys in Nahaufnahme sonst zu verstehen?
Ein Meilenstein also, den das Künstlerhaus zeigt. Ähnliches ließe sich sagen über „Scorpio Rising“ (1963), der wichtig war für die Stones und Lynchs „Blue Velvet“ und dessen Schnitttechnik, die die MTV-Ästhetik vorwegnimmt. Oder „Invocation of my Demon Brother“ (1969), bei dem Jagger, aus Dank für seinen diabolischen Hit, den Synthesizer bedient und den Fassbinder vor den Arbeiten an „Querelle“ gesehen hat. Oder „Inauguration of the Pleasure Dome“ (1954), an dem Scorsese gelernt hat, wie man Filmbildern mit Filmmusik widerspricht. Alles Monumente, alle zu sehen im rotledern verkleideten Showroom am Deich.
Sonst ist dieses Künstlerhäuschen eher ein Platz, an dem jene, die noch auf dem Sprung sind zum Weltruhm, ihr Werk erproben. Früher dachte man dort: Wenn nur die gedankliche Ebene komplex genug ist, können die Artefakte gar nicht schlecht sein. Seit 2004 aber ist Susanne Pfeffer Kuratorin. Und die behauptet, das Sinnliche sei das Wichtigste in der Kunst. Weshalb man seither immer nicht so genau weiß, was einen dort schon wieder aus der akademischen Ruhe bringen wird: Mal waren es trashige Ganzraum-Installationen, mal eine Schau nicht existierender Bilder. Ziemlich wild. Weshalb auch Anger dorthin passt, obwohl bei ihm doch das Nachwuchskriterium ausfällt und die Ehrungen für den Pionier rar geblieben sind.
Das Leben ist gerecht. Dass Anger nicht berühmt wurde, kratzt ihn nicht. Und es hat Gründe: Seine Filme anzuschauen verlangt eine gehörige Portion Selbsthass oder LSD oder einen Blick fürs Wesentliche. Die Inhalte – Eso-Symbolik à la Aleister Crowley, die den Verstand beleidigt. Die schmerzhaft schlechte Bildqualität – eine kalkulierte Augenreizung. Die Zeitstruktur – eine grobe Verletzung der Logik. Alles zusammen: Ein Ärgernis, also ein Muss.
Künstlerhaus am Deich, Bremen, Mi–So, 14–19 Uhr. Bis 25. 6.