: Die tägliche Bedrohung
Für ihre couragierte Berichterstattung aus dem Kaukasus hat Fatima Tlisowa den Gerd-Bucerius-Preis erhalten
Der General ist ein begeisterter Schütze. Besonders gerne zielt er auf die von Äpfeln gekrönten Häupter seiner Untergebenen. Im nüchternen Zustand greift er zur Schusswaffe, im angeheiterten zum Messer. Die Freizeit lässt sich der Kommandeur von einer jungen Tschetschenin versüßen, die er als Kriegstrophäe und Geliebte mit im Tross führt: eine Lolita, die weder schreiben noch lesen gelernt hat.
Das ist nicht die Rahmenhandlung eines Romans, sondern eine jener Geschichten, die die Journalistin Fatima Tlisowa in ihrer kaukasischen Heimat ans Licht förderte. Die 39-jährige Tscherkessin aus dem Nordkaukasus wurde am Freitag mit dem Gerd-Bucerius-Preis der Zeit-Stiftung für Journalisten aus Osteuropa ausgezeichnet. Die Enthüllungsstory bezahlte sie mit einem schweren Nierenschaden und mehreren Rippenbrüchen, verursacht von Profischlägern aus dem Umkreis des Militärs.
Journalisten leben in Russland gefährlich, und nur wenige wagen es noch, Machtmissbrauch, Korruption und Willkür anzuprangern. Vor zehn Jahren begann Fatima Tlisowas journalistische Laufbahn mit einer eigenen Sendung über Verbrechen und Skandale bei einem lokalen TV-Sender in Tscherkesk. Schnell machte sie sich bei den Machthabern unbeliebt. Danach arbeitete sie für die bekanntesten russischen Printmedien und übernahm 2003 die Leitung des tscherkessischen Dienstes von Radio Liberty in Prag. Seit Monaten versucht die US-Nachrichtenagentur AP Tlisowa als Kaukasuskorrespondentin zu akkreditieren. Doch Moskaus Behörden verweigern dies.
Tlisowa klagt nicht über Demokratieabbau im Russland Putins. Sie lässt die Mächtigen einfach sich selbst entblößen. In Kabardino-Balkarien forschte sie nach, warum Diabetiker seit Jahren kein staatliches Insulin mehr erhielten: Ministerialbeamte steckten die Gelder in die eigene Tasche. Bis hinauf zum Minister schäumten die Täter vor Wut und stießen wüste Drohungen aus. Zwar kam Tlisowa dieses Mal ungeschoren davon, doch änderte sich auch an der Unterschlagungspraxis nichts.
Die allein erziehende Mutter zweier Teenager ist von der Aufklärungsarbeit besessen. „Wie oft habe ich vorgehabt, wegen der Kinder keine heißen Themen mehr anzugehen. Aber ich halte das einfach nicht durch“, sagt sie leise. Wenn sie von den Dutzenden Überfällen auf sich erzählt, klingt das distanziert, als wäre gar nicht sie das Opfer gewesen.
Auch Zusammenarbeit mit ausländischen Kollegen nehmen ihr die Sicherheitsstrukturen übel. Vor zwei Jahren wurde sie von Geheimdienstlern entführt und mit brennenden Zigaretten malträtiert. Eine Warnung sollte es sein. Vergeblich, denn Fatima Tlisowa ist unverbesserlich.
KLAUS-HELGE DONATH