: Börsen-Crash in Bombay
Die indische Börse erleidet die weltweit stärksten Kursverluste. Aber auch aus anderen Schwellenmärkten wie etwa der Türkei ziehen Investoren ihr Geld ab
BERLIN taz ■ An der indischen Börse war die vergangene Woche katastrophal – und gestern wurde es noch schlimmer. Der Aktienindex Sensex, in dem die 30 größten Unternehmen vertreten sind, stürzte am Morgen um 10 Prozent ab. Daraufhin wurde der Handel zeitweilig unterbrochen. Am Nachmittag erholten sich die Kurse ein wenig, blieben aber weiterhin im Minus. Am letzten Mittwoch waren die Kurse auf einen Schlag um fast 7 Prozent gefallen. Das war der größte Absturz, den die Börse in Bombay jemals verzeichnet hatte. Bis Ende der vergangenen Woche hatte der Sensex gegenüber seinen Höchstständen in der ersten Maihälfte 14 Prozent eingebüßt.
Selbst der indische Finanzminister Palaniappan Chidambaram mischte sich nun ein: „Die Geschehnisse spiegeln eine gewisse Nervosität auf den Märkten wider“, räumte er ein, aber es gebe keine Liquiditätsprobleme. Die Gerüchte seien falsch, dass einzelne Börsenhändler ihre Rechnungen nicht bezahlen könnten. „Mein Rat an Anleger ist, weiter in Aktien zu investieren“, so der Minister.
In Börsenkreisen in Bombay hieß es gestern, die Kurse seien eben zu schnell zu stark gestiegen. Das achtprozentige Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr hätte Investoren zu übermäßig hohen Aktienkäufen verleitet – zumal für das laufende Jahr ähnliche Wachstumsraten prognostiziert worden seien. Das Verhältnis von Kursen zu den erwarteten Unternehmensgewinnen sei inzwischen ungesund hoch und eine Korrektur überfällig.
Die Nervosität hängt jedoch vor allem mit weltweiten Entwicklungen zusammen. Im Prinzip sind es die gleichen Gründe, die auch in Frankfurt, London und New York die Kurse purzeln ließen: Mögliche Zinserhöhungen in den USA könnten die Konjunktur und damit die Nachfrage nach Importwaren dämpfen – unter anderem auch aus Indien. Eine weitere Dollar-Abwertung würde zu einem noch stärkeren Nachfragerückgang führen. Doch kann dies nicht der einzige Grund sein, um den Aktieneinbruch in Indien zu erklären. So ist das Land viel weniger exportabhängig als etwa China, Korea oder Malaysia. Doch dort gaben die Kurse nicht so stark nach. Der indische Boom basiert insbesondere auf ausländischen Kapitalzuflüssen: Direktinvestitionen, Kredite und eben Aktienanlagen. Investmentfonds und andere Anleger steckten so viel Geld in die indische Börse, dass sich dort die Kurse innerhalb von drei Jahren verdreifachten.
Dieser Trend könnte umschlagen. Wegen der hohen und womöglich noch weiter steigenden Zinsen in den USA wird die Geldanlage in sicheren US-Anleihen deutlich attraktiver als in riskanten Schwellenländern. Daher dürfte die Neigung zunehmen, die Gewinne der letzten Jahre mitzunehmen. Vor allem Ausländer ziehen ihr Geld aus der Börse in Bombay ab. Anderen Schwellenländern von Indonesien über Russland bis in die Türkei geht es ähnlich. Da aber in diese Länder meist nicht so viel ausländisches Kapital geflossen ist wie nach Indien, sind auch die jetzigen Verluste etwas weniger drastisch.
Für die betroffenen Volkswirtschaften könnten bald gravierende wirtschaftliche Probleme entstehen. Denn für expansionswillige Firmen würde es dann deutlich schwieriger, sich über Börsengänge Geld zu beschaffen.
NICOLA LIEBERT