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Archiv-Artikel

In China malen sie Hunde

KOPIE Im Akkord werden im chinesischen Ort Dafen berühmte Gemälde kopiert – die Performancegruppe geheimagentur hat zwei Kopisten nach Deutschland eingeladen

Wanted Works

■ „The most wanted works of Art“ auf Kampnagel, Hamburg, 28. bis 30. Mai, Ausstellung und Workshop, 2. Juni Lecture

■ Bei den Festwochen Wien: 6. Juni Lecture Performance, 8.–12. Juni Ausstellung, 8.–10. Juni Workshop, im Project Space der Wiener Kunsthalle, Karlsplatz

■ Bildbestellungen bei Haifan Huang: hhaifan.blog.artron.net/

■ Infos zu Dafen: www.cndafen.com/enindex.asp

VON MOIRA LENZ

Die Künstlerkolonie Dafen liegt wie ein Dorf inmitten der südchinesischen 14-Millionen-Metropole Shenzen, nur durch einen Fluss von Hongkong getrennt. Statt 45 Stockwerken haben die Häuser hier höchstens sieben, kopiert werden nicht Uhren, Sonnenbrillen, Mobiltelefone, sondern Bilder. Hotels tragen Namen wie Palette, die Straßen heißen Da Vinci Square oder Art Boulevard. An jedem Kiosk gibt es neben Zigaretten, Bier und Eis auch Gemäldekopien – handgefertigt, in Öl. Süßigkeiten gleichen kleinen Farbtuben.

Es riecht nach Terpentin, Ölfarbe und frisch gesägtem Holz, als ich mit der Hamburger Performancegruppe geheimagentur Dafen besuche. An jeder Ecke werden Rahmen geklebt, Leinwände bezogen und Bilder gemalt. Das Klima ist subtropisch, sehr heiß und sehr schwül – nicht gerade ideal für Leinwand und Farbe. Aber hier dreht sich alles um Bilder, um Kunst, besser: die Kopie der Kunst, um Shanzai, das (offizielle) Fälschen.

Letzte Woche wurden aus dem Museum für moderne Kunst in Paris Gemälde im Wert von vielen Millionen Euro gestohlen – der zweitgrößte Kunstraub aller Zeiten. „The most wanted works of art“ heißt die Fahndungsliste entwendeter Kunstwerke und zugleich das Projekt der Performancegruppe geheimagentur – der Name ist Programm, die Mitglieder bleiben anonym. „Das Original trennt, da es die wenigsten Menschen ansehen können“, so geheimagentur, „die Kopie hingegen schafft eine gemeinsame Basis. Wir wollen den Wert der Kopie als Kunst beleuchten.“ Welche Rolle spielt der Kult um das Original im Ex und Hopp der Konsumgesellschaft? Steigern Kopien, Fälschungen und spektakuläre Kunstraube etwa nicht den Wert des Originals?

Experten gesucht

Um Unterstützung bei der Bearbeitung dieser Fragen zu suchen, war die Hamburger Performancegruppe im Dezember letzten Jahres nach Dafen gereist, um dort zwei Kopisten auszusuchen und nach Europa einzuladen. Nicht einfach, denn in der chinesischen Kopisten-Metropole leben mittlerweile 10.000 Kunstarbeiter, nachdem 1989 ein findiger Geschäftsmann die erste Werkstatt eröffnet hatte.

Malen in Dafen ist eine Industrie: Quasi im Akkord werden für Hotelketten, Kreuzfahrtschiffe und Unternehmen wie Wal-Mart Ölkopien bekannter europäischer Werke angefertigt, meist in großer Stückzahl – gut verkaufen sich van Gogh und Matisse, die Mona Lisa darf nicht fehlen. Auch private Käufer sind willkommen, Europäer schätzen Stillleben und Jagdszenen mit Hund, Asiaten Porträts der eigenen Familie – und ebenfalls Hunde. Zwar sind Bilder 70 Jahre lang nach dem Tod ihres Schöpfers urheberrechtlich geschützt vor illegalem Kopieren, aber nicht überall wird auf die Einhaltung dieser Rechte geachtet, die vielen kleine Ateliers und Galerien sind voll von Andy Warhols – der Kunstmarkt rümpft die Nase, und die Gesetzeshüter sind fern.

Schließlich stieß die geheimagentur auf Haifan Huang und Hui Lu. Beide arbeiten seit einigen Jahren hier, kopieren klassische Meister und fertigen nach Fotos Familienporträts. „Je mehr Personen auf einem Bild zu sehen sind, desto teurer wird es“, erklärt der an der China Academy of Art, Hangzhou ausgebildete Haifan. Der 37-Jährige entspricht in Kleidung und Barttracht dem Bild, das sich der Europäer seit Ai Wei Wei vom chinesischen Künstler macht. Gerade sitzt er vor einem Stillleben mit Austern, Weinkaraffe und Zitronen, die Farbe wird flach aufgetragen ohne die für Ölbilder so typische Struktur – alles muss schnell trocknen, Zeit ist Geld! In seinem Atelier stehen, hängen und liegen etwa 80 Bilder, zwischen Porträts und Klassikerkopien auch Haifan Huangs eigene Arbeiten, die an Lucien Freud oder Salvador Dalí erinnern.

Hui Lus Biografie ist gebrochener, der 27-Jährige aus Xiamen hat keine reguläre Kunstausbildung genossen. Schon mit 13 machte er sich im Copy-Business selbstständig. Und da er sich sehr gut aufs Kopieren und Malen versteht, ist er seit 2005 in Dafen beschäftigt.

Mittlerweile sind Hui Lu und Haifan Huang in Hamburg angekommen. „Es gibt so wenig Menschen hier“, wundert sich Hui Lu. Für das Projekt der geheimagentur werden beide Maler zuerst auf Kampnagel, später in Wien ihre Werkstatt aufschlagen, vor den Augen des Publikums zehn Ikonen der Kunst kopieren, ihre Tricks und Kniffs zeigen, und, unterstützt von der Übersetzerin Ju Mao, auf Fragen und Wünsche eingehen.

Mitgebracht haben sie fertige Kopien, darunter zwei nach Caravaggios „Gefangennahme Christi“. Von diesem Gemälde gibt es in europäischen Museen mindestens drei Versionen, in Odessa, Florenz und Dublin – welche aus der Hand des Meisters und welche aus seiner Werkstatt stammt, darüber ist man sich nicht einig. Kunsthistoriker reden deshalb lieber nicht mehr von Original und Kopie, sondern über Bilderfindungen des Malers, die von eigener oder fremder Hand ausgeführt sein können. Die Geschichte um dieses Bild brachte geheimagentur auf ihre Idee, Kopie als Kunst zu präsentieren, denn das Thema Eigenhändigkeit ist ein interessantes Kapitel, nicht nur im Hinblick auf die Vergangenheit, sondern auch auf die gegenwärtige Kunstpraxis.

Was die Frage nach dem Original angeht, da hat Haifan Huang übrigens ganz genaue Kriterien: „Wer meine eigenen Bilder kopiert, den werde ich verklagen.“