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Archiv-Artikel

Schnitzeljagd im Jülicher Wald

AUS JÜLICH SEBASTIAN HEISER

„Hier, Frau Klein, steigen Sie ein!“ ruft Axel Freimuth, der Rektor der Uni Köln, aus seinem Auto. Es ist Mittwoch, 13:30 Uhr. Kristina Klein, die AStA-Vorsitzende, setzt sich in den Wagen. Wohin die Reise geht, sagt Rektor Freimuth nicht. Kristina Klein weiß nur, dass am Ziel der Reise der Senat tagen soll, das höchste Gremium der Universität. Das soll an diesem Tag über Studiengebühren entscheiden. Ort: Streng geheim.

In der Einladung zur Sitzung hieß es, Klein solle an einer bestimmten Straßenkreuzung in der Nähe der Universität warten, von dort aus würde sie abgeholt. „Das war wie in einem schlechten Film“, sagt Klein.

Die Studentin fährt nicht allein mit dem Rektor. Im Auto ist noch ein Mitarbeiter der Universität. Und hintendran ein Auto der Studierenden, von dem aus die aktuelle Position per Handy an die Protestzentrale durchgegeben wird. Parole: Immer dicht dran bleiben und bloß nicht aus den Augen verlieren.

Zu diesem Zeitpunkt sind die ersten der insgesamt über 500 protestierenden Studenten bereits in Jülich angekommen. Es ist wie bei Hase und Igel. Über den Ort der Senatssitzung hatten die Studierenden viel spekuliert. Einen Tag vorher verdichteten sich die Gerüchte: Das Forschungszentrum bei Jülich wird es wohl sein. Dort gibt es Kooperationen mit der Kölner Uni.

Das Zentrum ist gut 40 Kilometer von Köln entfernt und liegt mitten im Wald. Zu dem riesigen Komplex, in dem etwa 4.400 Menschen arbeiten, gibt es mehrere Zufahrten. Und das Gelände, auf dem sich der Anfang des Monats abgeschaltete Kernforschungsreaktor Dido befindet, hat schon mehrere Anti-Atom-Demonstrationen überstanden. Es ist rundherum mit Zäunen gesichert.

„Wir lassen uns nicht spalten“, geben die Studierenden als Motto aus. Innerhalb eines Tages organisieren sie Busse, kopieren Landkarten und Bahn-Fahrpläne. Ein Voraustrupp hat noch am Dienstagabend das Gelände erkundet und sich nasse Füße geholt. Sie berichten von viel Wald, Privatstraßen, militärischem Sperrbezirk, Stacheldraht.

Auf dem letzten Plenum der Protestierenden am Abend vor der Senatssitzung geht es drunter und drüber. Etwa 50 Leute sind gekommen und die Spekulationen schießen ins Kraut: Wird die Uni-Leitung die Sitzung noch an einen anderen Ort verlegen? Welches Ziel kann man unter diesen Umständen verfolgen? Ist es realistisch, die Senatssitzung zu verhindern oder kann es nur darum gehen, symbolisch zu protestieren? Einige hyperventilieren und malen ein Schreckgespenst an die Wand, in dem Räumpanzer und Wasserwerfer vorkommen. Dann kommt es zum Beschluss: Eine Gruppe soll mit der Bahn nach Jülich vorfahren, andere folgen später mit Bussen und Autos. Sollte sich herausstellen, dass der Rektor in eine andere Richtung als Jülich fährt, werden alle umdirigiert.

Die Universität lässt Markus Struben im Regen stehen. Auf der Einladung des studentischen Vertreters zur Senatssitzung stand, dass er um 13:30 Uhr vor dem Eingang zur Tiefgarage des Philosophikums der Universität warten soll. Als der Fahrer nach einer halben Stunde schließlich kommt, sagt er Struben nicht, wohin er ihn fährt. Das Auto kämpft erst mit dem dichten Verkehr auf der Autobahn, und dann kommt noch ein zweites Verkehrshindernis: Eine Polizeisperre lässt das Auto der Universität mit Struben nicht durch. Wenn die blockierenden Studierenden wüssten, dass ihnen weiter vorne die Polizei die Arbeit abnimmt, könnten sie nach Hause fahren.

Als Markus Struben schließlich zusammen mit dem Senator der rechtswissenschaftlichen Fakultät, Wolfram Höfling, vor einem Nebeneingang zum Forschungszentrum steht, wird er nicht hereingelassen. Denn der Sicherheitsdienst des Zentrums will dieses Tor nicht öffnen, so lange auch Protestierende in der Nähe sind. Die könnten schließlich die Gelegenheit nutzen und das Gelände stürmen. Senator Wolfram Höfling gibt irgendwann auf und fährt zurück nach Köln. Senator Markus Struben wartet weiter.

In der eigens eingerichteten Protestzentrale laufen indes die Telefone heiß. Hier sitzen Studierende, die in Köln geblieben sind und von hier aus die einzelnen Busse und Gruppen koordinieren. Hier tröpfeln die Meldungen ein: Die Polizei hält am Jülicher Bahnhof die Personalien aller Leute fest. Vor dem Haupttor des Kernforschungszentrums hindern Studierende einen Kleinbus mit Senatoren an der Weiterfahrt, die Polizei rückt an. Die Zentrale koordiniert die Einsätze: Vor einem Seitentor wird noch Unterstützung gebraucht, 20 Leute vom Haupttor bitte auf den Weg machen! Der Auto-Konvoi fährt bitte zum Hintereingang! Und außerdem: Durchhalten!

Rektor Freimuth, der im Auto mit der AStA-Vorsitzenden Kristina Klein unterwegs nach Jülich ist, hat inzwischen bemerkt, dass er die ganze Zeit von einem Auto der Studierenden verfolgt wird. Was hätte James Bond in dieser Situation gemacht? Axel Freimuth dreht zwei Runden in einem Kreisverkehr. Das Auto bleibt direkt hinter ihm. Aufgeflogen! Freimuth beginnt daraufhin, Umwege zu fahren. Er ist früh dran und will nicht als Erster an dem Treffpunkt ankommen und diesen damit an seine Verfolger verraten.

Der Treffpunkt mit anderen Professoren ist ein Parkplatz in Nähe des Forschungszentrums. Ein Ortskundiger geleitet in einem Fahrzeug des Zentrums die Kolonne auf das Gelände, ohne auf Protestierende zu treffen. Gegen 16 Uhr haben mehr als die Hälfte der zwölf stimmberechtigten Senatoren ihr Ziel erreicht, die Sitzung beginnt.

Markus Struben wartet weiter vor dem Seiteneingang darauf, auf das Gelände gelassen zu werden. Da die Sitzung inzwischen begonnen hat, ziehen die Studierenden von diesem Tor ab, um ihren Vertreter im Senat nicht zu blockieren. Vom Sicherheitspersonal heißt es jetzt: Kein Einlass an diesem Tor, Struben soll um das gut zwei Quadratkilometer große Gelände herum zum Haupteingang laufen. Als er entnervt dort ankommt, hat die Sitzung längst begonnen. Struben stellt den Antrag, dass die Sitzung neu beginnt, da der Fahrer der Universität ihn am falschen Eingang abgeliefert habe. Der Senat lehnt ab, Struben verlässt die Sitzung: „So etwas Absurdes habe ich noch nie erlebt.“

Nach mehreren Stunden Diskussion beschließt der Senat der Uni Köln Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester. Von den zwölf Senatsmitgliedern gibt es sieben Ja-Stimmen und eine Nein-Stimme. Vier Senatoren haben es auch bis zum Abend nicht bis in die Sitzung geschafft.