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Archiv-Artikel

Ein Land vor dem Blackout

SOZIALISMUS Drei Jahre nach Entzug der terrestrischen Lizenz ist der venezolanische Fernsehsender RCTV am Ende. Und der einzige verbliebene Oppositionskanal Globovisión bangt ums Überleben. Ein Besuch bei den Machern

Pressefreiheit in Venezuela

Ranking: Auf der Rangliste der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen liegt Venezuela auf Platz 124 von 175 Ländern. Die US-Organisation Freedom House bezeichnet Venezuelas Presse als „unfrei“. Auch Amnesty verzeichnet im aktuellen Jahresbericht für 2009 zahlreiche Angriffe auf kritische Journalisten.

Erlaubnis: 2009 wurde 34 regierungskritischen Radiostationen die Lizenz entzogen oder die Sendeerlaubnis nicht verlängert. Laut der venezolanischen NGO Espacio Público gab es 2009 insgesamt 246 Fälle, in denen die Pressefreiheit verletzt wurde.

Presse: Die Zeitungen sind in Venezuela fast alle in Privatbesitz. Viele Verleger beklagen, dass sie keine Anzeigen mehr vom Staat oder dem Staat nahe stehenden Firmen bekommen.

Politik: Auf dem Weg zum von Hugo Chávez propagierten „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ werden vor allem sogenannte kommunitäre Medien gestärkt, in denen das Volk seine Stimme erheben soll. Diese Radio- und Fernsehsender werden aber von der Regierung finanziert und in der Praxis wird dort hauptsächlich die Regierungsposition vertreten.

AUS CARACAS SEBASTIAN ERB

Bevor er beginnt, der bissige Blick auf Politik und Gesellschaft, distanziert sich RCTV erst einmal per Schrifttafel von den Begriffen, Meinungen und Kommentaren der beteiligten Personen. Dann aber legt die Moderatorin los. Berenice Gómez, klein und quirlig, trägt heute Jeans und eine lila gemusterte Rüschenbluse. Sie klappt ihren Fächer auf und springt mit den Augen von dem einen Teleprompter zum anderen. Sie faucht. Auf dem Bildschirm hinter ihr erscheint ein Junge mit einem Gewehr in der Hand, ein Plakat der Armeehochschule. Kinder an der Waffe, das findet Gómez gar nicht gut, sie brüllt: „Sein Hitler: Chávez“. In Venezuelas Medien ist so ein Vergleich nichts Ungewöhnliches.

Gómez ist seit 35 Jahren Journalistin. Und sie ist wütend: „Dieser Kanal wird von der Regierung geschlossen, weil er aufzeigt, dass die Regierung regierungsunfähig ist.“ Sie klatscht mit der einen Hand auf die andere. „Aber ohne Widerspruch gibt es doch keine Nachrichten!“ Was Gómez noch nicht weiß an diesem Nachmittag Anfang Mai: Ein paar Tage später wird „Los Chismes de la Bicha“ ohne auch nur ein Abschiedswort nach sechs Jahren abgesetzt. RCTV sendet nur noch auf einigen Karibikinseln, die verbliebene Nachrichten- und eine Interviewsendung werden auch von einem kolumbianischen Satellitensender ausgestrahlt. Das war’s.

Schatten seiner selbst

Radio Caracas Televisión, der älteste und einst erfolgreichste private TV-Sender Venezuelas, existiert nur noch als Schatten seiner selbst. Als RCTV vor genau drei Jahren die Ausstrahlung über Antenne einstellen musste und die Frequenz einem neuen staatlichen Sender übertragen wurde, gab es international einen Aufschrei und Proteste gegen die „Schließung“. Die venezolanische Regierung betont seitdem, die Nichtverlängerung der Sendelizenz sei ein ganz normaler Vorgang bei einem Kanal, der seiner sozialen Verantwortung nicht nachkomme.

RCTV reduzierte sein Personal um mehr als die Hälfte und sendete über Kabel, Satellit und Internet weiter. Er verlegte seinen Sitz nach Miami, um nicht den nationalen Bestimmungen zu unterliegen. Dazu gehört etwa, dass Ansprachen des Präsidenten auf allen Kanälen live übertragen werden müssen. Doch weil auch der neue RCTVi hauptsächlich aus Venezuela berichtete, wurde er weiter als nationaler Kanal eingestuft und Ende Januar aus dem Kabelnetz verbannt. Von den einst 3.000 Mitarbeitern sind jetzt noch rund 200 übrig, die Werbeeinnahmen sind weggebrochen – ein Zuschussgeschäft.

Der Niedergang von RCTV passt in die Strategie der Regierung Chávez, die mediale Vorherrschaft im Land zu erlangen. „Die Regierung will entscheiden, was die Leute sehen können“, sagt William Echeverría, Präsident des Journalistenverbandes CNP. „Aber es sollte eine große Auswahl geben; dann kann jeder selbst entscheiden, was er sich anschauen will.“ RCTV will noch nicht aufgeben, sondern sich neu erfinden. Details will Vizedirektor Oswaldo Quintana am Telefon nicht nennen. Er ist gerade auf der ganzen Welt unterwegs, um auszuhandeln, wie der Neustart aussehen wird.

Präsident Hugo Chávez und die privaten Medien haben schon lange ein gespanntes Verhältnis. Für Chávez sind sie Oligarchen und „Feinde der Revolution“. Viele private Medien ihrerseits unterstützten 2002 offen die Putschisten, die Chávez für 48 Stunden aus seinem Amt entfernten. Auch RCTV.

Sender wie Televen und Venevisión sind danach zurückhaltender geworden – und bekamen ihre Lizenz verlängert. Sie achten nun peinlich genau darauf, genügend Regierungspositionen im Programm zu haben. Den Sprechern beider Seiten gleichlang das Mikrofon hinhalten, ohne kritische Fragen zu stellen: Das sei doch nur noch Verlautbarungsjournalismus, sagen Kritiker. Aber es schadet auf jeden Fall nicht, wenn man weiter Werbung vom Staat bekommen will.

Der einzige TV-Sender, der jetzt noch einen klaren Oppositionskurs fährt, ist Globovisión. Er hat seinen Sitz ein Stück weg von der Innenstadt. Das Gebäude ist von einer hohen Mauer umgeben, Elektrozaun und Stacheldraht, Überwachungskameras. Es sieht aus wie eine Burg. Der Schutz ist auch nötig, denn der Sender muss immer wieder Angriffen standhalten. Der heftigste ereignete sich im August 2009, als 30 bewaffnete Chávez-Anhänger den Sender überfielen und Tränengasgranaten abfeuerten. Weniger sichtbar sind der politische und juristische Druck: Bußgelder, Verfahren der Medienaufsicht, Prozesse. Und im Jahr 2015 läuft die Lizenz aus.

Die Reichweite des Nachrichtensenders Globovisión ist gar nicht so groß, vor allem nicht außerhalb der Stadt, aber er bestimmt die Medienagenda stark mit. Für die Chavistas ist Globovisión der Gegner schlechthin. Sein Programm nennen sie „Medienterrorismus“.

Klima der Angst

Bei der Redaktionskonferenz ist von alldem nichts zu spüren. Die meisten tippen auf ihren Blackberrys herum, eine Journalistin zieht ihre Augenbrauen nach. Auf zwei kleinen Flachbildschirm laufen staatliche Sender, auf dem großen das eigene Programm. Plötzlich schauen alle hin, breaking news: Der Oppositionspolitiker Oswaldo Álvarez Paz wird nach gut sieben Wochen aus dem Gefängnis entlassen. Er wird unter anderem der „öffentlichen Anstiftung zu Kriminalität“ beschuldigt. In einer Globovisión-Sendung hatte er Venezuela als einen Hort des Drogenhandels bezeichnet und Anschuldigungen zitiert, die Regierung arbeite mit der kolumbianischen Farc-Guerilla zusammen. Auch Senderchef Guillermo Zuloaga wurde unlängst festgenommen – wenn auch nur für ein paar Stunden –, weil er Falschinformationen verbreitet habe. Er hatte gesagt, dass die Regierung Medien schließt. Beide Verfahren laufen noch.

In Venezuela ist ein Klima aufgezogen, das vielen Journalisten nicht behagt. Zum einen sind da die Gesetze, die die Arbeit einschränken. Es kann bestraft werden, wenn Nachrichten gesendet werden, die die öffentliche Ordnung stören oder die Sicherheit des Staates gefährden. Der Interpretationsspielraum dabei ist groß. Zudem ist es schwierig geworden zu recherchieren, bedauert die Reporterin Beatriz Adrián, die seit zwölf Jahren bei Globovisión arbeitet. Vor einem Jahr hat sie die Gehälter der Abgeordneten öffentlich gemacht. Seitdem hat sie keinen Zugang mehr zum Parlament. Der Präsident und seine Minister beantworten selten Fragen, ihre Sprecher braucht man gar nicht anzurufen, weil sie sich sowieso nicht zurückmelden. Globovisión bekommt zudem zu vielen Pressekonferenzen gar keine Einladung oder wird nicht hereingelassen.

Beatriz Adrián, 36, sitzt draußen im Café, umgeben von Grünpflanzen. Ein gemütlicher Ort; ihr Arbeitsalltag ist oft genau das Gegenteil. Adrián wurde wie viele ihre Kollegen schon auf der Straße angegriffen: „Sogar im staatlichen Fernsehen beleidigen sie dich persönlich und nennen deine Adresse.“ In der medialen Auseinandersetzung haben beide Seiten längst die Grenzen des Anstands aus den Augen verloren. Und viele Journalisten überlegen aus Angst nun viel genauer, was sie veröffentlichen. Das kann bedeuten, dass sie besser recherchieren. Meistens aber bedeutet es Selbstzensur.

Die Unsicherheit belastet Beatriz Adrían. Sie hat sich schon überlegt, ob sie nicht ihren Traumberuf aufgeben soll. Aber daran zu denken, das schmerzt sie. Denn eigentlich, sagt sie, wolle sie doch nur guten Journalismus machen.