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Archiv-Artikel

Rivalen der Rennbahn

RADSPORT Sprinter André Greipel muss sich trotz seiner Etappensiege erst noch im Team behaupten

Schnell fahren funktioniert offensichtlich nur mit einem gehörigen Maß Testosteron im Blut. Was man von den hochbezahlten Fahrern der Formel 1 gewohnt ist, greift zunehmend auch ins Lager der schnellsten Pedaleure über. Die Protagonisten kämpfen nicht nur sportlich, sondern zanken wie die Kesselflicker. Die Aggressionskurve steigt gemeinhin am höchsten, wenn die Kontrahenten auch noch die gleichen Klamotten tragen.

So ist das gegenwärtig im Hause HTC Columbia. „Der gewinnt nie ein großes Rennen“, pflegt abschätzig Britanniens Sprintstar Mark Cavendish über seinen teaminternen Rivalen André Greipel zu sagen. Der Gescholtene hat in diesem Jahr immerhin zwölf Saisonsiege eingefahren. „Das soll er mir mal ins Gesicht sagen“, ließ der gebürtige Rostocker Cavendish ausrichten.

Greipel hat auf der 18. Etappe des Giro d’Italia Cavendish Lügen gestraft. Er holte in Brescia seinen ersten Tagessieg bei der Italienrundfahrt – und stieg einen Tag später aus, weil er der Meinung war, „genug ist genug“. Es gibt noch einen weiteren Makel. „Gut, er hat jetzt eine Etappe gewonnen, doch wie viele hätte er bei diesem Giro denn gewinnen müssen? In diesem Jahr sehe ich Greipel nicht auf einer Höhe mit Cavendish“, ätzte Altmeister Mario Cipollini im Ziel.

Das ist ein wenig ungerecht. Denn auf den ersten Etappen plagte Greipel ein Magen-Darm-Virus. „Ich konnte kaum etwas zu mir nehmen. Ich verlor drei Kilo und hatte einfach nicht die Power, um um den Sieg mitzusprinten“, so Greipel. An anderen Tagen verhinderten leichte Anstiege und enge Kurven vorm Ziel, dass er seine Antrittsschnelligkeit ausspielen konnte. Es gibt Erklärungen, klar. Laut Cipollini zeichnet sich ein wahrer Champion aber nicht nur dadurch aus, die Etappen zu gewinnen, die ihm liegen, sondern gerade dann zuzuschlagen, wenn die Zeichen ungünstig stehen. Hier hat Greipel Nachholbedarf.

Immerhin gibt er nicht auf. Er quälte sich über den mörderischen Zoncolan, um in Brescia seine letzte Chance zu nutzen. „Ich war als Kapitän eingesetzt. Da hat man Verantwortung und steigt nicht einfach aus“, meint Greipel. Das hat er fein gemacht.

Einem Startplatz bei der Tour de France ist er trotzdem nicht näher gekommen. Cavendish unterstrich seine Spurtstärke mit einem Sieg bei der Kalifornienrundfahrt. Greipel konnte beim Giro also bestenfalls ausgleichen. In seinen Ansprüchen auf einen Startplatz wird er zunehmend vorsichtiger. „Wenn das Team mich aufstellt, fahre ich“, sagte er brav und ergänzte: „Natürlich will ich gern zur Tour. Wenn es nicht in diesem Jahr klappt, dann eben im nächsten.“

Das klingt defensiv. Und es ist realistisch. Valerio Piwa, sportlicher Leiter von Team Columbia beim Giro, sieht die Chancen auf einen Greipel-Start als sehr gering an. „Wir werden kaum mit zwei Sprintern zur Tour fahren. Bei Leuten vom Format eines Cavendish und eines Greipel kann man nicht erwarten, dass der eine für den anderen den Sprint eröffnet“, meinte der Italiener. So etwas mache vielleicht ein Erik Zabel am Ende seiner Karriere für einen Kollegen wie Petacchi, aber nicht zwei junge Kerle auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit, fügte Piwa hinzu.

Zabel selbst, der bei Columbia als Sprintexperte angeheuert ist, sieht die Sache freilich etwas anders. „Ich sähe es gern, wenn beide starten. Sie müssen dazu allerdings Vertrauen zueinander aufbauen“, meinte er. Zabel fand es übrigens gut, dass Greipel sich in Middelburg mit dem Tagessieger Wouter Weylandt wegen einer Behinderung lautstark gestritten hat: „André ist noch zu brav. Es ist gut, wenn er ein paar Kanten bekommt.“ TOM MUSTROPH