: Nur ein Infozelt darf bleiben
PROTEST Flüchtlingscamp in Berlin steht vor dem Aus: Der Bezirk entzieht die Duldung. Räumung scheitert an Spontandemo
FLÜCHTLING NAPULI LANGE
AUS BERLIN KONRAD LITSCHKO
Am Morgen ist das Infozelt besetzt, als wäre nichts geschehen. Zwei Afrikaner sitzen hinter dem Biertisch, Kapuzen über den Kopf gezogen, sortieren Flyer. Ein Dritter malt mit einem Filzstift ein Schild. Weiter hinten kokelt es in der Feuertonne. Etwas aber ist anders: Einige Zelte sind verwaist, der rote Küchenwagen steht offen und leer. Nur ein paar Brote liegen noch herum.
Seit mehr als einem Jahr, seit Oktober 2012, demonstrieren auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg rund 100 Flüchtlinge in einem Zeltlager für mehr Rechte. Am Sonntag wäre damit beinahe Schluss gewesen. Am Nachmittag waren 80 der Campbewohner im Rahmen der „Kältehilfe“ in eine von der Stadt gestellte Winterunterkunft, ein früheres Caritas-Seniorenheim, umgezogen. Dann sollte alles ganz schnell gehen. Monika Herrmann (Grüne), Bürgermeisterin in Friedrichshain-Kreuzberg, entzog die bisherige Duldung für das Camp. 150 Polizisten rückten an, um die Zelte abzubauen. Die Bewohner, so Herrmann, hätten ja nun ein Obdach.
Da aber hatte eine Gruppe von 20 Flüchtlingen sich bereits geweigert, das Camp zu räumen. Dieses sei weiter ihr „politischer Kampfplatz“, sagten diese. Über SMS-Ketten alarmiert, sammelten sich flink mehrere hundert Unterstützer im Camp. Bezirk und Polizei brachen nach dem Inspizieren der Zelte den Einsatz ab: Man habe festgestellt, dass dort noch Menschen wohnten. Die Unterstützer antworteten mit einer Spontandemo durch Kreuzberg, Flaschen flogen. Die Polizei bilanzierte 31 verletzte Kollegen und fünf Festnahmen.
Am Montag nimmt Herrmann den Druck raus. „Wir werden uns die Lage in Ruhe angucken und Gespräche auf dem Platz führen“, sagt die Grüne. An der Entscheidung aber hält sie fest: Das Camp müsse weg, nur ein Infozelt dürfe bleiben. „Damit kann der berechtigte Protest weitergehen. Aber ohne dass Menschen dafür frieren und hungern müssen.“ Dies sei auch so im Hinblick auf das Winterquartier vereinbart worden.
Das Problem ist nur: Auf dem Oranienplatz hatten sich längst zwei Fraktionen gebildet. Das Gros der Bewohner, afrikanische Flüchtlinge, nach Europa eingereist über das italienische Lampedusa, hatten sich auf den Deal des Bezirks eingelassen. Seit Wochen hatten sie ein Haus für den Winter gefordert.
Die andere Fraktion lädt am Montag zur Pressekonferenz ins Camp. Einige sind Urbesetzer des Platzes, die von Beginn an weitreichende Forderungen stellten: Abschaffung von Residenzpflicht, Sammellagern und Abschiebungen. Zuletzt waren sie meist nur tagsüber vor Ort. Nun haben sie frisch gepinselte Banner aufgehängt: „We will stay“.
„Über unsere Forderungen wurde nie geredet“, kritisiert die Sudanesin Napuli Lange. „Nichts ist davon erfüllt, deshalb bleibt das Camp, unser Kampf geht weiter.“ Auch rund 100 Unterstützer sind wieder da, „Herrmann raus“-Rufe ertönen.
Auf dem Podium sitzt auch Bashir Zakariyar, ein Nigerianer, der am Sonntag in die Winterunterkunft gezogen war. Auch er klagt. Nie habe man dem Abbau der Zelte zugestimmt. Auch sei in der Unterkunft viel zu wenig Platz. „Was soll mit den anderen passieren?“
Die Caritas hatte nur exakt 80 Flüchtlingen Zutritt zur Herberge erlaubt. Mehr, sagte ein Sprecher, seien aufgrund von Brandschutzauflagen nicht möglich. Wer Betten bekam, mussten die Flüchtlinge unter sich ausmachen. Einige fanden keinen Platz und mussten vorübergehend in einem herkömmlichen Asylheim untergebracht werden.
Monika Herrmann versprach, für alle Flüchtlinge vom Oranienplatz eine Unterkunft zu organisieren. Die Restbewohner im Camp entschieden sich derweil für Protest. Sie zogen nach ihrer Pressekonferenz mit einer erneuten Spontandemo auf die Straße. Ihr Ziel: Herrmanns Rathaus.
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