NIEDERDRÜCKEN, KLEIN- UND KAPUTTMACHEN, WIE DAS IN DER HAASENBURG GESCHEHEN IST, DAS BRINGT AM ENDE KEINEN GERADEN MENSCHEN HERVOR
: Kinder unserer Stadt

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Wenn man schon mal einen ganz normalen Teenager zu Hause hatte, einen, der ab und an duscht und manchmal sogar lächelt, dann weiß man, dass es alles nicht einfach ist. Möglicherweise hat man Fehler in der Erziehung gemacht, denn die Erziehung ist eine fast unmögliche Aufgabe, sie erfordert einen Erzieher, der selber all das ist, was das Kind irgendwann idealerweise sein soll.

Hat man das Kind dann in die Pubertät gebracht, wird es nicht einfacher. Und manches, dessen man sich bis hierher sicher war, wird jetzt in Frage gestellt. Ist das Kind fähig, in der Welt zurechtzukommen? Und wenn es das ist, ist es dann ein guter Mensch? Wenn auch viele Eltern eigentlich nur die erste Frage zu ihrer Zufriedenheit beantwortet haben wollen, drängt sich anderen auch die nächste auf. Und manche Eltern müssen feststellen, dass das Experiment missglückt und das Kind irgendwie ab hier selbst schuld sein muss oder vielleicht „die Gesellschaft“.

Das halberwachsene Kind wird erst ein bisschen auffällig und kriminell und dann mühselig in sozialen Einrichtungen behandelt oder schlimmstenfalls in eine Haasenburg gesteckt. Dort besinnt man sich militärischer Willensbrechermethoden, aber irgendwann besinnt sich dann die Welt, dass militärische Willensbrechermethoden auch gegenüber Kindern nicht erlaubt sind. Am Ende steht man da, so schlau wie zuvor.

Hamburg hatte ein paar Kinder in der Haasenburg untergebracht und nun nicht mehr, weil es die Haasenburg nicht mehr gibt. Die Kinder gibt es aber noch, und zwei von denen haben in ihrer neuen Freiheit gleich mal eine junge Frau überfallen.

Ich gestehe, ich bin ratlos. Ich bin nicht die, die militärische Methoden für eine Lösung hält, aber ich habe auch sonst keine Lösung. Wenn es schon schwer ist, einen einigermaßen intakten jungen Menschen zu erziehen, mit Tränen und mit Lachen, mit Wut und mit Liebe, weil er zu einem gehört, weil man mit ihm auch einem Teil von sich selbst was Gutes tut, und das macht die Sache natürlich auch etwas egoistisch, wie schwer, wie fast unmöglich muss es sein, einem fremden und weniger intakten Menschen das zukommen zu lassen, was er in seiner zerstörten und zornigen Lebenshaltung bräuchte, um in die richtige Richtung geschickt zu werden? Ist es nicht fast unmöglich?

Ich weiß nicht, ob es hilft, jemanden einzusperren, es hilft vielleicht der Frau, die dann nicht überfallen wird. Aber Leben lernen kann man ganz sicher nicht, wenn man eingesperrt ist. Niederdrücken, kleinmachen, kaputtmachen, wie das in der Haasenburg geschehen ist, das bringt am Ende ja keinen geraden Menschen hervor.

Falls man aber etwas tun kann, dann wird es sehr mühselig sein und es wird sehr viel Arbeit brauchen, von jemandem, der sehr kompetent ist. Einem einzelnen Kind wird wenigstens eine kompetente Person gegenübergestellt sein müssen, das versteht jeder, der selbst zu Hause einen weniger kaputten Jugendlichen betreut und auch oft an seine Grenze kommt. Es ist aber in diesen Fällen schon ein Schaden da, der fast irreparabel ist, dem muss man mit dem notwendigen Aufwand begegnen, das sollte Hamburgs Sozialsenator, Herr Scheele, bedenken, wenn es um die Planung neuer Heime geht.

Wir sollten großzügig in die Zukunft denken, in gut ausgebildete Pädagogen investieren, und möglicherweise in eine ganz neue und bessere Form von Heim. Vielleicht sind einige von diesen Jugendlichen kaputt, vielleicht lässt sich aber auch noch was retten, an Menschsein und an Talent, egal, wie teuer es ist, das ist doch wichtiger, als eine Elbphilharmonie, das sind doch Kinder unserer Stadt. KATRIN SEDDIG

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen