: Guter Start für Deutschland
National Team holt erste Siege bei der Tischfußball-WM in Hamburg – und kämpft gleichzeitig gegen das Kneipenimage des Sports.
„Los jetzt! Fight!“ Der 25-jährige Chris Marks übt sich in Selbstmotivation, denn die Situation ist brenzlig. Gerade eben hat Jan Zavoral, sein tschechischer Kontrahent, die kleine Kugel gestoppt und befindet sich quasi in Elfmeterposition. Die beiden Sportler lösen ihre schweißnassen Hände von den Griffen des Kickers. Zavoral atmet tief durch, wischt sich die Hände mit einem bereitgelegten Handtuch ab. Marks rückt die Brille zurecht und legt Hand an seine Abwehr. Dann geht es Schlag auf Schlag. Der Tscheche täuscht kurz an und schmettert dann den Ball mit Wucht Richtung Tor: lautes Krachen, nur die Bande! Das Deutsche Lager atmet erleichtert auf. Ein paar Minuten später ist alles vorbei: Das Spiel ist 7:5 gewonnen. Das Deutsche National Team ist zufrieden einen Siegpunkt geholt zu haben, denn die Tschechische Republik gilt als nicht zu unterschätzender Gegner.
Seit Donnerstag kämpfen 20 Länder um den Titel bei der ersten Mannschafts-WM im Tischfußball. Arena ist die Fischauktionshalle in Hamburg. Eine Kicker-WM? Da drängt sich die Frage auf: Wie ernst darf man das nehmen? Der Deutsche Tischfußballbund versucht mit der WM jedenfalls den Sprung von der Kneipenunterhaltung zur anerkannten Sportdisziplin. So verspricht Präsident Klaus Gottesleben in seinem Grußwort „Spitzenathleten“ und hofft auf „eine Veranstaltung mit sportlichen Höchstleistungen“.
Auf die bereiten sich die Teams sehr unterschiedlich vor: Da sind die Kanadier, die jede freie Minute nutzen, um an den Tischen zu trainieren oder sich zu beratschlagen, wie der nächste Gegner zu bezwingen ist. Sie wirken jung, dynamisch und voller Siegeswillen. Ihre Körper: schlank aber dennoch muskulös. Als Erfrischung gönnen sich die Gäste aus Nordamerika gerne isotonische Sport-Getränke. Ganz anders sieht die Strategie der Luxemburger aus. In den Pausen meiden die Athleten des Kleinstaates konsequent die Spieltische, entspannen lieber bei einer Runde Poker. Statt Power-Drinks packen sie ihre Glimmstängel aus – trotz vielfach angebrachter Rauchverbotsschilder. Das äußere Erscheinungsbild der Luxemburger schwankt zwischen Hooligan und Kneipenterrorist. Da spannen sich schon mal die T-Shirts über massigen Leibern, die Hautfarbe der Oberarme ist bei manchen vor lauter Tätowierungen kaum mehr zu erkennen.
Wer aber glaubt, dass Tischfußball nur eine Primitivunterhaltung für besoffene Thekenhänger ist, der täuscht sich. Es gilt bei der WM ein komplexes Regelwerk von stolzen 19 Seiten zu beherrschen. Dessen Kenntnis ist umso wichtiger, da die Sportler zeitweise ohne Unparteiischen auskommen müssen: „Ich mische mich nur bei Aufforderung durch die Spieler ein. Ansonsten regeln die das untereinander“, erklärt Schiedsrichter Sven Griebert. Genauestens festgelegt ist der Umgang mit den Spieltischen. So dürfen die Spieler keine mechanischen Veränderungen vornehmen, der Ball und die Spielflächen dürfen nicht behandelt werden. Erlaubt sind dagegen eigene Griffe, Umwickelungen der Griffe mit Bändern oder die Verwendung von Überziehern. Grundvoraussetzung für die Teilnahme an der WM ist, dass in jedem Achter-Team zwei Frauen antreten.
Dass so eine WM kein entspannter Kneipenabend ist, wird spätestens nach den ersten Vorrundenspielen deutlich. Wer am tschechischen Lager vorbeistreift, nimmt intensiven Schweißgeruch wahr. Ermattet steht die Mannschaft zusammen und zieht Bilanz. Das National Foosball Team hat viel Einsatz gezeigt, dennoch hat es nicht gereicht. Mit einem überraschenden 16:0 hat sich das Deutsche National Team in den Spielen der ersten Vorrunde klar durchgesetzt. Auch die Japaner zeigen Erschöpfungsanzeichen: Eine zierliche Spielerin sitzt im Pausenbereich, der Kopf liegt schwer auf der Tischplatte. Ihre Mannschaft musste gerade eine herbe Niederlage gegen Frankreich einstecken: Zum Schluss stand es 13:3.
Ein wichtiger Faktor, der über Sieg oder Niederlage entscheiden kann, ist der Spieltisch. Zur WM sind sechs Modelle zugelassen. Jedes hat seine Besonderheiten. So gilt der „Tornado“ als besonders schnell, während Spiele auf dem „Bonzini“ etwas „ruhiger“ verlaufen. Jedes Land wählt für die WM einen „Heimtisch“, mit dem es antritt. Deutschland hat sich fest auf „Bonzini“ eingeschworen. Die Spiele finden dann abwechselnd auf den jeweiligen Heimtischen der Kontrahenten statt. Meistgehörte Frage in der Fischauktionshalle: „What‘s your table?“ Volker Gröschl, Coach der deutschen Mannschaft, gibt sich allerdings gelassen: „Der Vorteil unseres Teams ist, dass wir nicht vom Tisch abhängig sind.“ Bis jetzt scheint sein Optimismus gerechtfertigt: Die ersten Spiele hat seine Mannschaft gewonnen. Ob sie auch gegen Favoriten wie Belgien oder die USA bestehen kann, wird sich zeigen müssen.
Thorsten Steer