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Archiv-Artikel

Die Fratzen des Fußballs

Ein Kick zwischen Kautschuk und Korruption: die schöne Doku „Und immer lockt der Ball“ (So., 22.25 Uhr, Arte)

Wer hätte gedacht, dass das größte Fußballturnier der Welt im brasilianischen Urwald ausgetragen wird, in Manaus, am Zusammenfluss von Rio Negro und Rio Solimoes zum Amazonas. Das „Peladao“, was so viel wie Gebolze heißt, ist eine einzigartige Veranstaltung. Wo sich an der „Encontro de Aguas“ schlammbraune Wassermassen mit klaren Fluten mischen, ist der Fußball mit einer Miss-Wahl verquickt. 800 Mannschaften treten an – mit elf Spielern und einer lokalen Schönheit. Nicht nur Tore zählen, sondern auch der perfekte Po. Indianische Missen werden separat bewertet; auch im urbanen Dschungel nistet der Rassismus im Alltäglichen.

Der Organisator des amazonischen Großereignisses, ein Radioreporter, sagt zu Beginn des Streifens, Fußball beschere ihm die besten Orgasmen. Keine Frage, der ältere Mann, der sich somnambul durch das Chaos bewegt, liebt den Fußball. Jedenfalls in diesem Moment. Am Ende wird er sein Amt niederlegen, weil er genug hat von Korruption, Spielabsprachen und Geldwäsche. Plötzlich schlägt Hass durch, auf ein Spiel, das als absurdes Theater zur Aufführung kommt.

Albert Knechtel, der Filmemacher aus Deutschland, hat sich auf unsicheres Gebiet gewagt und all die Ambivalenzen rund ums Leder eingefangen. „Und immer lockt der Ball“, heißt die knapp einstündige Arte-Dokumentation, die am Sonntag im Rahmen des Themenabends „Fußballfieber“ zu sehen ist.

Knechtel hat sich nicht zum ersten Mal mit dem Leder beschäftigt; „Papa Diouf – der Spielervermittler“ und „Die Farbe des Fußballs“ hat er bereits gedreht, kritische Bestandsaufnahmen vom Istzustand eines globalen Spiels. Aber will man in diesen Tagen überhaupt noch Filme über Fußball sehen?

Man will. In Knechtels Stück offenbart sich der Fußball, zeigt seine Fratzen. Das Peladao destilliert die Unbilden des Kicks. Das Spiel ist beides: korrupt und wunderbar, banal und fesselnd. Es blühen die schönsten Illusionen und münden doch meist nur in abgrundtiefe Enttäuschungen. Drogenbosse lenken die Ergebnisse, schleusen Profis in das Amateurturnier ein und verprellen die Fans.

Dem Fußball kann das nichts anhaben. Das Spiel ist zu groß, das Peladao längst ein Ritus. Die Schönheitsköniginnen lassen sich ebenso auf das merkwürdige Reglement ein wie die indianischen Kicker, die keine Chance haben gegen die ausgebufften Städter. Dafür spielen die Indios mit dem ursprünglichsten aller Fußbälle, einer aufgeblasenen Kautschukkugel. In der 1,6-Millionen-Metropole ist der Kautschukboom vorbei. Aber der Gummiball hat immer noch Konjunktur. Nicht nur beim Peladao, dem großen Bolz im Busch. MARKUS VÖLKER