WIRTSCHAFTSKRIMINALITÄT UND BILANZBETRUG LOHNEN SICH WEITERHIN : Ausnahme Enron
Zur Zufriedenheit der Öffentlichkeit hat die Jury ihr Urteil gefällt: So gut wie „lebenslänglich“ für zwei ergraute Herren, die sich auf der Höhe ihrer Karriere beim Energiekonzern Enron im Lob der Wall Street sonnten. Die Ermittler und die Jury befanden, dass die arroganten Angebereien der Manager, wonach sich Enrons Unternehmensgewinn beliebig steigern ließe, nicht nur hohles Dot.com-Geblubber waren, sondern bewusste Täuschung.
Nur dank eines „Whistleblowers“, namentlich einer Enron-Vizemanagerin, die an die Öffentlichkeit ging, stellte sich später heraus, dass Enrons Gewinne für die Jahre 1997 bis 2000 um schlappe 591 Millionen Dollar übertrieben waren. Das führte zu einem rapiden Wertverlust der Aktie, zur Pleite, zum Verlust von 4.000 Arbeitsplätzen und zu erheblichen Renten- und Krankenversicherungseinbußen von knapp 30.000 Angestellten. Enron war die größte, aber nicht die einzige Blase dieser Art, die bei genauem Hinschauen platzte. Heute steht der Firmenname synonym für eine Epoche, in der enthemmte Manager und eine Dot.com-gläubige Wall Street meinten, die Schwerkraft überwunden zu haben. Die harte Landung ist ein heilsamer Schock – aber keine Heilung. Zwar haben die USA in Folge der Skandale den Unternehmen strengere ethische Richtlinien auferlegt, die Buchhaltung reformiert und Whistleblower rechtlich weitergehend geschützt. Aber Wirtschaftskriminalität und Bilanzbetrug sind damit keineswegs erledigt.
Im Fall Enron hatte die Staatsanwaltschaft eine Taskforce von 30 Ermittlern ins Rennen geschickt, der Druck der Öffentlichkeit war hoch. Bei kleineren Fischen dauern ähnliche Ermittlungen Jahre, die Ergebnisse sind mager und die Prozesse sind papierintensive Expertenveranstaltungen. Kurz: Wirtschaftskriminelle haben weiterhin gute Chancen, davonzukommen. Das belegt auch die Statistik der verhängten Strafen: In den USA werden seit rund einem Jahrzehnt im Durchschnitt nicht mehr als 6 Monate, zum großen Teil auf Bewährung, verhängt. Auch die Anwälte in Fall Enron werden in Berufung gehen. Ihre Chancen sind offen, sagen Experten. ADRIENNE WOLTERSDORF