: Verkommenes System
FILMREIHE Von Kapitalisten, Särgen und Hooligans: Die Filme beim Deutsch-Russischen Kinoforum im Hamburger Metropolis-Kino erzählen vom heutigen Russland und beschönigen nichts
Es wirkt fast so, als würde in jedem Monat ein anderes Land im Hamburger Kommunalkino Metropolis die Filmernte des letzten Jahres vorstellen. Indien, Taiwan, Norwegen, Japan: Ein permanentes internationales Filmfest. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Filmreihen in Hamburg fast ein Selbstläufer sind, denn in der Stadt gibt es so viele Bürger und Gäste aus allen diesen Ländern, dass das Kino oft alleine schon aus Gründen des Heimwehs gut gefüllt ist.
Zum Teil werden diese Filmreihen von den Außenministerien mitorganisiert und entsprechend kontrolliert. Oft sind sie auch touristische Werbeveranstaltungen. Beim Deutsch-Russischen Kinoforum ist dies anders: Die Reihe wird unabhängig vom Produktionszentrum Cont-Art, St. Petersburg, und der Kinematek Hamburg organisiert. Es wird in dieser Reihe also kaum ein Russland-Bild vermittelt werden, das Wladimir Putin genehm ist. Im letzten Jahr gab es sogar Schwierigkeiten bei der Ausreise von eingeladenen Gästen und der Anlieferung von Filmkopien.
In diesem Jahr stehen 22 Filme auf dem Programm. Die meisten davon sind Produktionen aus diesem oder dem letzten Jahr. Ganz neu ist etwa der Eröffnungsfilm „Legende Nr. 17“, ein Biopic über den sowjetischen Eishockeyspieler Valerij Kharlamov, der mit seinem Team 1972 gegen die Favoriten aus Kanada gewann, was für Russland ähnlich epochal war wie die Fußballweltmeisterschaft von 1954 für die Deutschen.
Die wahre Geschichte, auf der der Spielfilm „Fußballnah“ basiert, hätte auch in Deutschland passieren können. Darin wird von gewalttätigen Hooligans erzählt, die sich zu verschworenen Gemeinschaften verbünden, in denen jeder Aussteiger als Bedrohung angesehen wird.
„Für Marx ...“ ist der ironische Titel eines Thrillers, in dem unabhängige Gewerkschaftsmitglieder sich gegen die gnadenlose Ausbeutung im neuen kapitalistischen System wehren, bis sie erfahren, dass ihr eigenes Kollektiv schon längst korrumpiert ist.
Für die Dokumentation „Pipeline“ ist Regisseur Vitali Manskij entlang einer Gaspipeline von Sibirien bis nach Köln gereist, um zu zeigen, wie sie das Leben der Menschen verändert hat, die in ihrem Umkreis leben.
Das Filmforum ist auch dem Regisseur Aleksei Balabanov gewidmet, der in diesem Jahr verstorben ist und von dem sieben Filme gezeigt werden. Balabanov war ein populärer Filmemacher, der 1997 mit dem Kriminalfilm „Der Bruder“ einen großen kommerziellen Erfolg hatte.
Auch international bekannt wurde er 2007 mit seinem Thriller „Cargo 200“, der einen Skandal auslöste. Der Titel bezieht sich auf den Codenamen der Särge, in denen sowjetische Soldaten aus Afghanistan zurück nach Russland verfrachtet wurden. Balabanov nutzte diese Metapher für einen Abgesang auf die Sowjetunion, die er als ein verkommenes System zeigt. Auch dies ist wohl kein Film für Nostalgiker fern der Heimat. HIP
Deutsch-Russisches Kinoforum: 28. 11. bis 5. 12, Metropolis, Hamburg