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Archiv-Artikel

Kay Nehm zieht sich zurück

Der Generalbundesanwalt gibt den Fall Potsdam an die dortigen Ankläger ab. Er trennt zwischen rassistischer Beschimpfung und Niederschlagung des Opfers. Die Bundesanwaltschaft sieht die besondere Bedeutung der Tat „in sich zusammengefallen“

VON CHRISTIAN RATH

Generalbundesanwalt Kay Nehm hat das Ermittlungsverfahren wegen des Überfalls auf den dunkelhäutigen Ingenieur gestern an die Potsdamer Staatsanwaltschaft zurückgegeben. Nach derzeitiger Rekonstruktion des Tatablaufs hatten die Täter weder Tötungsabsicht, noch hat der Fall eine besondere Bedeutung. Beide Gründe führen dazu, dass der Generalbundesanwalt nicht mehr zuständig ist.

Der Familienvater war von zwei noch nicht sicher identifizierten Männern niedergeschlagen worden. Der Tat ging ein Wortwechsel voraus, der zufällig vom Handy der Frau des Opfers aufgezeichnet wurde. Dort war zu hören, wie einer der Täter dem Ingenieur „Scheiß Nigger“ zurief. Bei dem nachfolgenden Schlag erlitt der in Äthiopien geborene Deutsche schwere Schädelverletzungen. Nehm hatte daraufhin die innere Sicherheit bedroht gesehen und die Ermittlungen an sich gezogen.

Nach Auswertung aller Indizien und Zeugenaussagen geht die Bundesanwaltschaft inzwischen aber von einem „zweiaktigen Geschehensablauf“ aus: Danach nähern sich die beiden Männer dem an der Haltestelle im Stadtzentrum wartenden Mann in provokativer Absicht. Der beschimpft einen der Angreifer als „Schweinesau“. Der andere antwortet mit „Scheiß Nigger“. Kurz darauf erhält das Opfer einen ersten Schlag auf den Mund. Hier bricht die Handy-Aufzeichnung ab. Die beiden Männer gehen nun weiter, doch der Ingenieur folgt ihnen und versucht, einen von ihnen zu treten. Nun erst kommt es zu dem schweren Schlag, an dessen Folgen das Opfer heute noch leidet.

Ein Mordvorsatz könne bei diesem Ablauf nicht mehr angenommen werden, erklärte Nehm gestern. „Die nachweislich fremdenfeindlichen Äußerungen der Täter stehen weder räumlich noch zeitlich in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Niederschlagen des Opfers.“ Für eine Anklageerhebung wegen schwerer Körperverletzung sei der Generalbundesanwalt aber nicht zuständig, sondern die örtliche Staatsanwaltschaft.

Auf taz-Nachfrage sagte gestern eine Sprecherin Nehms, dass nunmehr auch die besondere Bedeutung der Tat „in sich zusammengefallen ist“. Nach derzeitigem Kenntnisstand sei nicht wahrscheinlich, dass die Täter mit ihrer Gewalttat ein fremdenfeindliches „Fanal“ setzen wollten. Allerdings komme auch Notwehr nicht in Betracht.

Am Dienstag kamen beide Tatverdächtige frei, einer wurde am Mittwoch wieder verhaftet. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), der Nehm für die Übernahme der Ermittlungen kritisiert hatte, hielt sich gestern zunächst mit Triumphgeschrei zurück.

Dass Nehm Ermittlungen an sich zieht und bei veränderter Sachlage wieder an die örtlichen Staatsanwälte abgibt, ist nicht neu. Auch nach dem Anschlagsversuch auf die Düsseldorfer Synagoge im Jahr 2000 hatte er seine Zuständigkeit nach näherer Prüfung verneint. Nächste Woche tritt Nehm in den Ruhestand.