: Kluge Einparteiendiktatur
CHINA Staatspräsident Xi Jinping stößt die größten Reformen seit Chinas Öffnung vor 35 Jahren an. Mit Demokratie hat das nichts zu tun
■ ist China-Korrespondent der taz und lebt in Peking. 2011 erschien von ihm „Die Gewinner der Krise: Was der Westen von China lernen kann“ (Rotbuch).
Chinas neuer Staats- und Parteichef Xi Jinping beruft sich wie kein anderer vor ihm auf Mao Zedong. Er klappert Gedenkstätten ab und initiiert „Berichtungskampagnen“, mit denen die Partei von „Extravaganz gesäubert“ werden soll. Er redet von „ideologischer Reinigung“ und „Massenlinie“ und verdonnert sämtliche Journalisten des Landes zu Mao-Kursen. Die Jugend fordert er auf, sich lieber mit der Geschichte von Chinas Kommunistischer Partei zu beschäftigen als mit Talentshows. Und in den Gefängnissen sitzen so viele Bürgerrechtler wie schon lange nicht mehr.
Deng ist das große Vorbild
Wie einst Revolutionsführer Mao wettert auch Xi gegen Demokratie und Pluralität. Anfang Juli besuchte er Einheiten der Volksbefreiungsarmee und warnte dort vor den „sieben westlichen Diskursen“. Dazu zählt er die Forderung nach Menschenrechten, Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Justiz. Xi wies die Soldaten zudem an, keine Geburtstage zu feiern und Geschenke auszutauschen. Das sei ein Import aus dem Westen und gehöre sich nicht für Staatsbedienstete. Wer also gehofft hatte, Xi könnte China in ein liberales Fahrwasser lenken, dürfte angesichts dieser Maßnahmen eines besseren belehrt worden sein.
Und dennoch: Xis rote Rhetorik ist nur die eine Seite. So sehr er sich auf den ersten Blick ähnlicher Kampagnen-Politik zu bedienen scheint wie einst der „Große Vorsitzende“ –, einen Rückfall Chinas in die Zeiten der Kulturrevolution wird es unter ihm ganz sicher nicht geben.
Denn in ökonomischen Fragen ist Xi moderner, pragmatischer und unideologischer als seine letzten beiden Vorgänger es jemals waren. Rote Rhetorik und moderne Wirtschaftsreformen passen in China bestens zusammen. Xi hat ein Vorbild. Er tritt in die Fußstapfen des großen Reformers Deng Xiaoping. Xi ist kein Neo-Maoist, sondern ein Dengist.
Das zeigt sich konkret an den Ergebnissen des jüngst zu Ende gegangenen Dritten ZK-Plenums. Wirkten die Ergebnisse unmittelbar nach Ende dieser viertätigen Parteisitzung zunächst eher mau, vage und schwammig, erfüllt sich mit Bekanntgabe der Details in diesen Tagen das, was Xi und seine Getreuen vor der Sitzung versprochen hatten: die größte Reform der Volksrepublik seit 35 Jahren. Damals leitete Deng – ebenfalls auf einem Dritten ZK-Plenum – die Öffnungspolitik ein. Das war der Beginn von Chinas Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Die nun gefassten Beschlüsse der Regierung Xi lassen sich im Ausmaß mit jenen von damals vergleichen.
Mehr Rechte für Leute vom Land
So sollen die zutiefst menschenfeindlichen Umerziehungslager abgeschafft werden, die dafür sorgten, dass – trotz der vielen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte – China weiter der Ruf des Stalinismus anhing. Xi lockert die nicht minder umstrittene Ein-Kind-Politik und erlaubt jungen Paaren ein weiteres Kind. Worunter ebenfalls viele hundert Millionen Chinesen in den vergangenen Jahren gelitten haben und sie zu Menschen zweiter Klasse degradierte: Das strenge Meldesystem (Hukou), das Bauern und Wanderarbeitern die sozialen Leistungen verwehrte, sobald sie in die Städte zogen. Auch zu dieser umfassenden Reform ist Xi bereit.
Er wird den Bauern mehr Landrechte geben und Wanderarbeitern Zugang zu Bildung, Wohnraum und einer Gesundheitsversorgung verschaffen. All das, damit die Menschen dem System mehr Vertrauen schenken, in der Hoffnung, dass sie dem zuletzt nachlassendem Wirtschaftswachstum zu einem neuen Schub verhelfen.
Vor allem aber hat Xi durchgesetzt, dass den freien Märkten eine größere Rolle zukommt. Das ist auch bitter nötig. Denn so sehr sich China in den vergangenen Jahrzehnten zu einer gigantischen Werkbank für den Rest der Welt entwickelt hat – der Binnenmarkt schwächelte all die Jahre wegen zum Teil absurder Überregulierungen. Er wird dominiert von großen Staatsbanken und Staatsunternehmen – ein bislang elementares Standbein der kommunistischen Herrschaft. Nun will Xi deren Macht massiv beschneiden.
Staatsunternehmen schwächen
Diese Staatsunternehmen waren in den vergangenen Jahren für Ineffizienz und massive Überkapazitäten verantwortlich. Die Parteikader konnten sich an ihnen maßlos bereichern. Denn für entstandene Verluste musste immer wieder die Zentralregierung herhalten. Zugleich haben diese Staatsunternehmen es zu verhindern gewusst, dass sich auch in der Volksrepublik ein solides mittelständisches Privatunternehmertum entwickeln konnte.
Der Großteil der erwirtschafteten Gewinne ist in den vergangenen Jahren bei der großen Mehrheit nicht angekommen, sondern an korrupte Parteisekretäre in den Staatsunternehmen geflossen. Dass Xi nun entschlossen das ökonomische Bollwerk des chinesischen Kommunismus anzugehen denkt, ist ein mutiger Schritt. Denn er muss gegen seine eigenen Genossen vorgehen, was ihm gelingen könnte. Seit seinem Amtsantritt hat Xi alles daran gesetzt, seinen Einfluss auf Parteiapparat, Armee und Regierung auszuweiten. Seit Deng war kein Staatschef mehr so mächtig wie Xi Jinping.
Aus seinem erklärten Kampf gegen die Staatsunternehmen jetzt zu folgern, aus Xi könnte doch noch ein Liberaler, ein Demokrat gar, werden, ist allerdings falsch. Ein Demokrat war auch Deng nicht und hatte es auch nie werden wollen. Bis zu seinem Tod war er zutiefst davon überzeugt, dass das Machtmonopol der Kommunistischen Partei mit allen Mitteln erhalten werden müsse, im Zweifel auch mit Panzern, Gewalt und Repression. Das Massaker von Tiananmen liefert den grausamen Beleg für diese Haltung.
Darin unterscheidet sich der heutige Xi nicht von Deng und letztlich nicht von Mao. China bleibt auch unter ihm das, was es die vergangenen 64 Jahren war: eine Einparteiendiktatur.
FELIX LEE