: Investoren kommen an die Kette
GELD Der gesamte Finanzsektor wird in der bevorstehenden Legislaturperiode stärker reguliert
RUDOLF HICKEL
VON KAI SCHÖNEBERG
BERLIN taz | Da schmunzelt das Handelsblatt: Dass die Großkoalitionäre Jungunternehmern den Gang auf Parkett mit der „Einführung eines neuen Börsensegments ‚Markt 2.0‘ erleichtern wollen“, findet das Onlineportal der Wirtschaftszeitung zum Grienen. Die Gründe: Ob Schwarz-Rot etwa den um die Jahrtausendwende bauchgelandeten „Neuen Markt“ wiederbeleben wolle, fragt Handelsblatt online. Und, wie denn eine Regierung beschließen könne, „dass ein neues Marktsegment eingeführt werden soll, wo diese Entscheidungen doch bislang den Börsenbetreibern unterlagen?“
Vielleicht müssen die Koalitionäre an dieser Formulierung im Vertrag noch mal feilen. Fest steht: Handelsblätter und ihre Leser, die Anleger, haben künftig nicht mehr ganz so viel zu lachen. Auf Investoren wie auf den gesamten Finanz- und Bankensektor kommen gravierende Änderungen zu. Es wird überdeutlich, dass die FDP nicht mehr mit im Boot ist: Vielerorts soll künftig stärker reguliert werden. „Indem wir der Spekulation klare Schranken setzen“, will Schwarz-Rot „die Funktionsfähigkeit und Stabilität der Finanzmärkte“ verbessern. Und: Der „realwirtschaftlichen Dienstleistungsfunktion des Finanzsektors“ solle „Vorrang vor spekulativen Geschäften“ gegeben werden.
Vorerst Koalitionsprosa, die noch mit strengen Gesetzen eingelöst werden muss. Aber: Die neue Bundesregierung plant zumindest, einige Fehlentwicklungen auszubremsen. So will sie Rohstoff- und Nahrungsmittelspekulation eindämmen, indem sie „die Einführung von Positionslimits auf den Rohstoffmärkten“ vorantreibt, also die Höhe der Investitionen begrenzt.
Nur noch wenige Experten bezweifeln heute, dass Spekulation Lebensmittel verteuert – und zu Hunger führt. Auch die Macht der US-Ratingagenturen soll begrenzt werden: Ihre Einschätzung der Kreditwürdigkeit hat bereits viele Eurokrisenländer in die Bredouille gestürzt. Wenn die Agenturen abwerten, werden fast automatisch die Zinsen auf Staatsanleihen teurer, Etats wackeln. Anleger wie Pensionsfonds sollen ihre Investitionen künftig seltener vom Urteil von Standard & Poor’s, Moody’s oder Fitch abhängig machen müssen. „Wir wollen auch die Bedeutung externer Ratings reduzieren“, heißt es im Koalitionsvertrag.
Wie beim Derivatehandel und bei der Einführung von Beleihungsobergrenzen bei Immobilienkrediten gibt es bereits ähnliche Pläne auf EU-Ebene – nun werden sie jedoch konkreter. So geht es auch mit den schwarz-roten Absichten zur Bankenaufsicht und zur künftig stärkeren Trennung von Investment- und Geschäftsbanken. Auch zur Regulierung des Hochfrequenzhandels gibt es zwar bereits Vorschriften in Deutschland – laut Koalitionsvertrag sollen sie jedoch verstärkt werden.
„Vieles könnte von uns abgeschrieben sein“, sagt der Ökonom Rudolf Hickel. „Einige Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre werden endlich aufgegriffen“, ergänzt der Sachverständige der Bundesregierung lobend. Und schränkt gleichzeitig ein: „Allerdings reicht mir vieles nicht, das könnte präziser sein.“ So die geplante Einführung einer Finanztransaktionsteuer in den dazu willigen EU-Ländern. Oder auch die Eindämmung von Wucherzinsen. Wollte die SPD ursprünglich Dispozinsen auf maximal 8 Prozent über einem Referenzzins deckeln, lautet die wachsweiche Formulierung im Koalitionsvertrag nun: „Die Inanspruchnahme des Dispositionskredits soll nicht zu einer übermäßigen Belastung eines Bankkunden führen.“
■ Gewinner: Staaten, die unter Ratingagenturen leiden ■ Verlierer: Spekulanten, die mit Essen spielen