: Schwache dürfen sich wehren
betr.: „16 Wochen für 4 Minuten“, Kommentar von Klaus Jansen, taz nrw vom 23.5.2006Leider ist der fortgeschrittene Liberalismus nur in der Theorie einfach. Die wirkliche Welt wird leider immer komplexer, selbst die ehedem so übersichtliche Tarifpolitik. Klaus Jansen demonstriert uns in seinem Kommentar zur unübersichtlichen Situation im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes der Länder und Kommunen sein gesammeltes Unverständnis der Situation.
Erstens sitzt er mit dem Hinweis auf niedrige gewerkschaftliche Organisationsgrade in den Ländern dem neuliberalen Vorurteil auf, dass die Schwachen kein Recht haben für ihre Interessen zu kämpfen. Die Geschichte hat da schon oft das Gegenteil bewiesen. Zweitens sind für die Medien Mülltonnen offenbar fotogener als Menschen. Das tatsächliche Gesicht der Streiks war jedoch beeindruckend weiblich. Auch bei den deutschen Gewerkschaften hat die Feminisierung begonnen. Drittens lernt Ver.di, die Flexibilisierungsforderungen der Arbeitgeber für sich zu nutzen. Der Abschluss in Niedersachsen hat die streikenden Bereiche selektiv bevorzugt. Die Eckpunkte des aktuellen Abschlusses lassen ein solches Verfahren ebenfalls zu. Viertens waren zunehmend politische Aktionsformen jenseits des traditionellen Streiks zu beobachten, die – durchaus nicht ohne Wirkung – direkt auf verantwortliche Landespolitiker zielten.
Fünftens ist der Versuch, die Übernahme des Länderergebnisses durch die Unikliniken bürokratisch anzuordnen, kein unsportliches Verhalten des zuständigen Ministers. Wir erleben in NRW zwei Streikbewegungen (Landesverwaltung und Unikliniken) mit unterschiedlichen Zielen. Für die Landesverwaltung gibt es einen Abschluss, für die Unikliniken nicht. Diese Tarifbewegung dauert also an. Minister Linssen fährt lediglich ein weiteres Geschütz in der laufenden Auseinandersetzung auf. Sechstens gehen Pläne zur Veränderungen von Organisationsformen im öffentlichen Bereich heute ursächlich auf eine generelle Tendenz zu Vermarktlichung öffentlicher Dienstleistungen zurück. Für diese Entwicklung gibt es viele Ursachen. Gewerkschaftliche Tarifpolitik interessiert dabei weniger als beispielsweise die Entwicklung auf den internationalen Finanzmärkten. WOLFGANG HERBERTZ, Unna