: Jürgen, der Außerrheinische
Das erste Jahr in Düsseldorf ist vorbei, nun soll Berlin beglückt werden: NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers drängt es neuerdings in die Bundespolitik. Sein Standing dort ist suboptimal
VON KLAUS JANSENUND MARTIN TEIGELER
Jürgen Rüttgers auf allen Kanälen: Der NRW-Ministerpräsident tourt derzeit durch die wichtigen Talkshows. Erst räsonierte er staatsmännisch bei Maybrit Illner im ZDF über die neue globale Bedeutung Chinas, heute spricht er im Doppelpack bei Phoenix über die Glaubwürdigkeit von Politik und später dann bei N24 über seine Bilanz nach einem Jahr Schwarz-Gelb am Rhein.
Anti-Diskriminierungsgesetz, Elterngeld, Mehrwertsteuer – Jürgen Rüttgers hat derzeit zu allem etwas zu sagen. Plötzlich mischt sich der Düsseldorfer Regierungschef in die Berliner Politik ein (siehe unten). „Rüttgers wirkte bisher bundespolitisch eher blass, seine Bekanntheit ist nicht vergleichbar mit der seiner Amtsvorgänger“, sagt der Meinungsforscher Manfred Güllner. Sein Forsa-Institut will herausgefunden haben, dass sich die NRW-Wählerschaft in der Bundespolitik nicht gut vertreten fühlt.
42 Prozent der Befragten geben an, dass der Einfluss des Landes im Bund abgenommen hat, seit Rüttgers Ministerpräsident geworden ist. „Jürgen Rüttgers zählt bislang nicht zu den profilierten CDU-Ministerpräsidenten wie Koch oder Wulff“, sagt Güllner. In der Forsa-Liste der wichtigsten Politiker taucht der Mann aus Pulheim nicht auf. Auch unter den Top Ten des ZDF-Politbarometers hat Rüttgers keinen Platz.
Die Landes-CDU dementiert die Existenz eines „Plan Berlin“, mit dem Nordrhein-Westfalens bundespolitisches Gewicht gesteigert werden soll. Der junge NRW-Generalsekretär Hendrik Wüst postuliert dennoch ein neues Selbstvertrauen: „Ohne die CDU-NRW wären Schröder und Rot-Grün letztes Jahr nicht abgewählt worden. Wir können zu Recht sagen, dass unser Einfluss im letzten Jahr gewaltig war“, so Wüst zur taz. Es sei selbstverständlich, dass sich die Landesregierung auch weiterhin gegen Projekte wehre, die sie im Wahlkampf kritisiert habe. Wüst geht es vor allem darum, Rüttgers als soziales Gewissen der Union zu positionieren. Auch in der Debatte über das neue Grundsatzprogramm sei es die CDU-NRW, „die die soziale Frage stellt“.
Dass Konflikte mit der eigenen Partei – wohl dosiert natürlich – durchaus hilfreich sein können, lernen angehende Spin-Doctoren im Vorschulkindergarten. Allerdings fehlt den NRW-Vorstößen inhaltliche Konsistenz: Von Wertkonservativen (beim Widerstand gegen das Elterngeld) über den Wirtschaftsliberalen (bei der Ablehnung des Anti-Diskriminierungsgesetz) bis zum Sozialpolitiker (bei Hartz IV) versucht Rüttgers, das gesamte Spektrum der CDU-Klientel in Personalunion abzubilden. Das bundespolitische Posing dient der Binnenwirkung in NRW, nicht persönlichen Ambitionen in Berlin. Rüttgers will wohl Landespolitiker bleiben und irgendwann zu den großen NRW-Ahnen Karl Arnold (CDU) und Johannes Rau (SPD) aufsteigen.
Die Wirkung auf CDU-Chefin Angela Merkel ist dabei bislang eher gering: „Unser kleiner Reformer aus Düsseldorf“, soll die Kanzlerin über Jürgen Rüttgers gespottet haben. Die NRW-SPD, der sonst auch nicht viel einfällt, druckt den Spruch schon auf Postkarten. Tatsächlich gilt das Verhältnis Rüttgers-Merkel seit längerem als suboptimal – spätestens seit die Regierungschefin im vergangenen Herbst auf NRW-Christdemokraten in ihrem Kabinett verzichtet hatte. „Die beiden haben eine Arbeitsbeziehung, mehr nicht“, sagt einer der wenigen wichtigen NRWler in der Bundes-CDU.
CDU-NRW-Landesgruppenchef Peter Hintze spricht dagegen von einer „freundschaftlichen und konstruktiven“ Zusammenarbeit zwischen Merkel und Rüttgers. Der NRW-Ministerpräsident sei „eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Union“, so Hintze zur taz. Natürlich habe sein Wort in Berlin „großes Gewicht“, sagt der Ex-Generalsekretär von Ex-Kanzler Kohl. Heute plaudert Rüttgers in Berlin auch mit den CDU-Bundestagsabgeordneten aus NRW – zwischen zwei Talkshows gewissermaßen.