: Jenseits der Soldaten-Reihen
ENDE Debatten über Trauerkultur betreffen nicht nur den Friedhofszwang. Fachleute diskutieren das Verhältnis von Tradition und individueller Entscheidung. Oft ist mehr möglich, als den meisten klar ist
Über Trauerkultur und die Gestaltung des Abschiednehmens diskutierten Fachleute am Montag auf einer Podiumsdiskussion in der Botanika. Brisanz bekam die Veranstaltung durch die aktuelle Debatte über die Lockerung des Friedhofszwangs in Bremen.
Wie berichtet hatte sich Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) vor kurzem in dieser Frage auf Seiten der Kirchen und gegen seine Partei gestellt. Ausgerechnet sein Vorgänger Henning Scherf (SPD) sagte während der Podiumsdiskussion, Verbote seien der falsche Weg. „Die Menschen müssen das Recht haben, selbst zu entscheiden.“
Ob die Asche Verstorbener mit nach Hause genommen werden darf, wie es der Antrag von SPD, Grünen und Linken in der Bremischen Bürgerschaft vorsieht, ist allerdings nur ein Aspekt, wie die Diskussion deutlich machte. Thomas Möhring vom Umweltbetrieb Bremen, zuständig für Friedhöfe, wies darauf hin, dass Traditionen im Widerspruch zu neueren Entwicklungen der individualisierten Gesellschaft stehen: „Single-Haushalte haben andere Bedürfnisse als Familien, die ihre Grabstätten über Generationen unterhalten.“
85 Prozent der Verstorbenen würden heutzutage in Urnen bestattet, so Möhring. Da diese weniger Platz als Särge in Anspruch nehmen, seien größere Gestaltungsspielräume auf den Friedhöfen entstanden. „Jenseits der klassischen Reihen, die viele Menschen an Soldatenfriedhöfe erinnern“, sagte Möhring. Gesetzesänderungen seien meist gar nicht nötig, da diese Fragen in den Friedhofsordnungen geregelt werden. Und die orientieren sich an der Nachfrage.
Welche Wünsche es gibt, konnte der Bestattungsunternehmer Heiner Schomburg erklären. „Oft wissen die Leute gar nicht, was alles möglich ist.“ Kinder würden beispielsweise immer stärker in die Trauerarbeit einbezogen, dürften Särge schmücken oder bemalen. Auch dunkle Kapellen und Orgelmusik seien keine Pflicht.
Einwände gegen individualisierte Bestattungen kamen vor allem aus dem Publikum: Die kirchlichen Traditionen würden vor allem älteren Menschen Halt geben, sagten einige. Und auch als kulturelle Instanz seien Friedhöfe wichtig. Möhring vom Umweltbetrieb Bremen bestätigt das: „Traditionelle Angebote werden immer nachgefragt und wir müssen sie auch vorweisen können.“ JPK
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