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Archiv-Artikel

Werbung für die Propagandastraße

Mit der Böttcherstraße wollte Ludwig Roselius senior vor 75 Jahren zum Patrizier avancieren. Jetzt ist es ihm gelungen

Von bes

Wenn da noch Weichteile wären – der Bremer Unternehmer Ludwig Roselius senior wäre vor Stolz geschwollen. Denn der Mann, der vor 100 Jahren Kaffee Hag erfunden und nach dem ersten Weltkrieg die Böttcherstraße errichtet hat, hatte kein dringlicheres Anliegen, als in den feinen großbürgerlichen Kreisen der Hansestadt akzeptiert zu werden. Geklappt hat es nie.

Jetzt aber nennt Sparkassenvorstand Jürgen Oltmann persönlich das Wirken Roselius’ ein „herausragendes Beispiel für hanseatisches Mäzenatentum“. Und der Präsident des Senats sitzt daneben und nickt dazu, spricht von der langen public-private-partnership-Tradition Bremens und stellt ihn, anlässlich des 75. Jahrestags der Straßen-Eröffnung mit all den Patriziern der Jahrhunderte in eine Reihe. Nun denn.

Tatsächlich war Roselius bereits 1902 begonnener Aufkauf und die Umgestaltung der Straße marketingtechnisch visionär: Zunächst schafft sich der Firmengründer damit wenigstens für die Absatzmärkte jenseits von Bremen das Hanseaten-Image, das ihm hiesige Großbürger verweigern. 1917 prangt das „repräsentable historische Gebäude“ auf einer Plakette von Roselius & Co., erläutert der Leiter der Kunstsammlungen Böttcherstraße, Rainer Stamm, in einem Beitrag zu dem Band „100 Jahre Kaffee Hag“. Der erscheint kommenden Monat und legt nahe, dass der damit geweckte Eindruck, „es handele sich um den traditionsreichen Sitz einer Familie“, glatte Absicht war. Als Kontrapunkte der neoaltdeutschen Giebel-und-Gassen-Romantik hat Roselius dann dem germanisch-spinnerten Expressionisten Bernhard Hoetger bei den spektakulären Neubauten Haus Atlantis, Becker-Modersohn-Museum und dem erschlagenden Rauschgold-Engel am Eingang freie Hand gelassen.

Die Zeitgenossen erregte das, die Nazis, denen weder Roselius noch Hoetger ideologische fernstanden, empörte es. Und die Außenwirkung der Straße, die ein Freund ihres Schöpfers schlicht als „Propaganda“ bezeichnet hat, hält an: Sie gilt als eine der wichtigsten Touri-Attraktionen. Allein: Von den Bremern wird das durch Reisegruppen dauerverstopfte Gässchen gemieden – zum Verdruss der Böttcherstraßen GmbH: Die „und die Umländler“ wolle man, so deren Geschäftsführerin Susanne Gerlach bei der Jubiläums-PK, „verlocken, die Straße neu zu entdecken“. Also macht man Werbung für die Propagandastraße: Im Juni gibt’s Vorträge, Theater und Glockenspielkonzerte. bes