: Mensch und Material beherrschen
BIOGRAFIE Christine Tauber entschlüsselt das Leben Ludwig II. entlang seiner Märchenarchitektur
VON DETLEV CLAUSSEN
Wer ein weiteres Buch über einen Märchenkönig mit Kitsch und Klatsch erwartet, wird bitter enttäuscht werden. Christine Tauber webt nicht am Ludwigmythos und hält sich von jeder Küchenpsychologie eines entrückten Königs fern. Die Autorin tappt nicht in die Fallen des Biografismus, die am Rand dieses ungewöhnlichen Lebensweges in Glanz und Elend lauern.
Christine Tauber erkennt Ludwig II. an seinen Taten, d.h. an seinen Bauten. Jeder, der Herrenchiemsee oder Neuschwanstein besucht hat, wird von dieser Lektüre profitieren. Christine Tauber gelingt das Kunststück, den Wahnsinn Ludwigs verständlich zu machen. Das Buch wird durchzogen von einem amor intellectualis ad rem, dem sich der wissbegierige Leser nicht entziehen kann. Am Ende ist ihm das „Glück der winzigen Freiheit, die im Erkennen als solchem liegt“ (Adorno), beschieden.
In den Feuilletons kann man viel in diesem Jubiläumsjahr über Wagner und seinen Clan nachlesen. Ludwig II., ohne den es Wagner in Bayreuth gar nicht gegeben hätte, kommt höchstens als „nützlicher Idiot“ (Lenin) des hohen Paares Cosima und Richard vor. Christine Tauber zeichnet sehr genau die anfängliche Dreierbeziehung auf, in der Cosima und Richard den jungen König mit perfidem Psychoterror für ihre Zwecke instrumentalisierten.
Mit ihrem ostentativen Antisemitismus konnten sie den leicht beeinflussbaren Throninhaber aber nicht anstecken. Die unglückliche Begegnung mit dem Künstlerdespoten inspirierte Ludwig zu seinen größenwahnsinnigen Bauprojekten; denn auch er wollte wie Richard Wagner „Kunstwerke der Zukunft“ schaffen. Die Wagners brauchten die ökonomischen Mittel einer königlichen Apanage; Ludwig II. aber glaubte, im Besitz dieser Mittel zu sein, nicht nur um Wagners Projekte zu finanzieren, sondern auch um seine eigene Wunschwelt zu realisieren.
Gebaute Utopie
Von den Wagners war Ludwig in die Position des Erlösers gedrängt worden; der Geschmeichelte nahm sie gerne an und unterzeichnete Episteln an den Künstler als „Parcival, der Held der Zukunft“. Aus seinen finanziellen Nöten konnte der König Wagner erlösen; aber er konnte nicht in München regieren wie er wollte und musste Wagner auf öffentlichen Druck aus der Stadt ausweisen lassen.
Der undankbare Künstler nahm ihm das übel, während Ludwig in seiner Weltverachtung durch den gleichzeitigen Liebes- und Machtverlust bestärkt wurde. Der Wille zur absoluten Macht ließ sich nicht gegen die bürgerliche Gesellschaft behaupten; die Vorstellung eines Souveräns ließ sich nur noch als Bauherrscher verwirklichen. Gegen alle Widerstände verwandelte er seit Ende der 60er Jahre Bayern in eine Baustelle der Utopie. Luftschlösser entstanden an allen Ecken und Enden.
Diese gebaute Utopie schließt Christine Tauber dem verwirrten Betrachter auf, der ratlos die Interieurs dieser Fantasiegebilde betrachtet. Die Postkartenidyllen der Ludwigschen Burgen und Schlösser, so erklärt die Autorin schlüssig, sind nicht gebaut, um dem Volk oder hohen Gästen herrschaftlich zu imponieren. Die Gebäude sind nur von innen heraus zu verstehen – als Restauration des Gefühls einer Wiederkehr der absoluten Monarchie.
Der König lässt diese Räume nur für sich bauen; er will nicht Philosoph, sondern Künstler sein, der alles, Mensch und Material, beherrscht. Im Zentrum dieses autokratischen Traums liegt das geheimnisvolle Schlafzimmer des Monarchen; ein Blick nach außen, gar ein Alpenpanorama, ist nicht erwünscht. Für den Fremden nicht einsehbare Wintergärten und Grotten versetzen den Souverän in die Stimmung, in der er sich seine überindividuelle Vergangenheit vergegenwärtigt. Ludwig sieht sich nicht in der bajuvarischen Tradition der Wittelsbacher, sondern er hält sich für einen weiteren Louis, dessen Spiegelsaal in Herrenchiemsee noch den von Versailles übertrumpft.
Die Touristenattraktionen von heute sind Zeugnisse eines gescheiterten Großversuchs der Wiederverzauberung der Welt. Im Leben musste sie misslingen; der ohnmächtige Despot wird nach seiner Arretierung in einem letzten souveränen Akt den Freitod suchen. Christine Tauber ist mit diesem sorgfältig komponierten und schön gestalteten Buch selbst ein kleines Kunstwerk gelungen.
■ Christine Tauber: „Ludwig II. Das phantastische Leben des Königs von Bayern“. C.H. Beck, München 2013, 368 Seiten, 24,95 Euro