Der Rang der Dichter

Peter Handke und der Streit um den Heine-Preis: Schon oft haben in der Vergangenheit Proteste gegen Jury-Entscheidungen bei Dichterehrungen zu Blamagen für die Protestierenden geführt

Man kann im Dichter auch den Narren verehren, der sprichwörtlich das Privileg hat, die Wahrheit zu sagenHandke denkt ja auch nicht daran, seinen Wohnsitz statt in einem Vorort von Paris in der Umgebung von Belgrad zu nehmen

VON JÜRGEN BUSCHE

Wie klug muss ein Dichter sein? Schon das Wort weckt Zweifel. Als die Gruppe 47 sich 1967 in Saulgau traf, um, wie stets seit 1947, aus entstehenden Büchern zu lesen und darüber zu streiten, wurden sie von aufbegehrenden Studenten empfangen, die ebenfalls herangereist waren, um den Berühmten ihr Schweigen zu aktuellen politischen Fragen vorzuwerfen. „Dichter, Dichter!“, riefen sie höhnisch und wollten damit sagen: „Schlafmützen, Schlafmützen!“

Eine Schlafmütze zu sein, gewesen zu sein, ist wahrhaftig nicht der schlimmste Vorwurf, den deutsche Schriftsteller bislang einstecken mussten. Und gerade die Berühmtesten von ihnen, Thomas und Heinrich Mann, unternahmen ihre ersten publizistischen Gehversuche in einem Hetzblatt der Antisemiten. Gerhart Hauptmann endete in der Nähe von ihnen. Umgekehrt fanden überraschend viele deutsche Dichter ihre letzte Ruhestätte im Ausland, sie waren daheim nicht wohlgelitten, in Deutschland nicht, in Österreich nicht. In Frankreich lebt seit vielen Jahren der Österreicher Peter Handke. Er müsste das nicht tun. Er will es so.

Niemand kann sagen, Handke habe diesseits des Rheins wegen seiner heftigen Parteinahme zu Serbien Unbill zu erdulden gehabt. Als der Kärntner mit seinen befremdlichen Liebesbekundungen für Serbien und seinen Diktator begann, organisierte Siegfried Unseld, besorgt um das Ansehen seines Autors und des Suhrkamp-Verlags, eine Lesereise, für die große Theatersäle angemietet wurden. Zitternd machte sich Handke auf den Weg. Aber schon auf der ersten Station, in Hamburg, merkte er nach wenigen Sekunden, dass die Leute im Parkett enthusiastisch auf seiner Seite waren. Aber nicht, wie man bald auch bemerken konnte, auf Seiten des Serbienpropagandisten, sondern auf Seiten des Dichters, dessen Bücher geschätzt werden.

„Nur Narr, nur Dichter“ lautet eine Formel Friedrich Nietzsches. Man kann im Dichter auch den Narren verehren, der sprichwörtlich das Privileg hat, die Wahrheit zu sagen. Über die Wahrheit streiten sollen dann andere, nicht die Dichter. Die anderen sind dann unter Umständen schlechter dran. Die krassesten Fälle intellektueller Verirrungen im Politischen sind in Deutschland mit den Namen Gottfried Benn, Martin Heidegger, Ernst Jünger und Carl Schmitt verbunden. Alle vier engagierten sich für kurze Zeit mit dem verbrecherischen nationalsozialistischen Ungeist. Schmitt verkroch sich hernach hinter ein Paravent aus katholischer Theologie, Heidegger nahm die Rolle eines alles verrätselnden Hölderlin-Fundamentalisten an.

Benn und Jünger dagegen beschieden die Öffentlichkeit barsch: Was geht euch das an! Und hatten Erfolg damit. Sie feierten mit ihren Büchern Triumphe und düpierten ihre Gegner durch Nichtbeachtung. Gottfried Benn erhielt 1951 den Büchner-Preis, der sich hernach zum symptomatisch wichtigsten Literaturpreis der Bundesrepublik Deutschland entwickeln sollte. Ernst Jünger erhielt in den 80er-Jahren – allenthalben waren die Intellektuellen der 68er Generation schon in wichtige Ämter gelangt – den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt. Dagegen erhob sich noch Protestgemurmel wegen des Namens Goethe. Aber eine von den Grünen veranstaltete Diskussion, die Joschka Fischer leitete und Daniel Cohn-Bendit im Publikum lebhaft mitgestaltete, zeitigte eine bunte Szene, die keineswegs zum Tribunal wurde.

Proteste gegen Jury-Entscheidungen bei Dichterehrungen haben in der Bundesrepublik meist zu Blamagen für die Protestierenden geführt. Das war im Fall von Georg Lukacs nicht anders als im Fall von Anna Seghers. Den berühmtesten Fall einer Jury-Schelte gab es in Bremen, als Günter Grass ausgezeichnet werden sollte. Der Preis war nach dem Dichter Rudolf Alexander Schröder benannt, der für sein Wirken von 1933 bis 1945 der inneren Emigration zugerechnet wurde und den Theodor Heuss in den 50er-Jahren beauftragt hatte, eine neue Nationalhymne für die neue Republik zu verfassen. Daraus wurde nichts.

Die Bremer Politiker wollten Grass allerdings weniger aus Gründen politischer Meinungsunterschiede nicht geehrt sehen als deshalb, weil sie die „Blechtrommel“ für Schweinkram hielten, der mit dem Rang des Preisnamensgebers nicht vereinbar sei. Freunde von Grass verschweigen heute lieber, dass Bremen auch damals von der SPD regiert wurde. Der politische Eiferer Heinrich Böll wurde einst von Dolf Sternberger fürchterlich abgestraft. Gleichwohl zweifelte kaum einer daran, dass er den Literaturnobelpreis zu Recht erhalten hatte. Auch bei Grass stellt den niemand in Frage.

Dürfen Dichter also machen, was sie wollen? In gewisser Weise ist das so. Davon hat auch Bert Brecht profitiert, der Stalin zeitweise nicht weniger zugetan war als Handke Milošević, aber selbstverständlich zu klug war, nach dem Verlassen Deutschlands nach Moskau zu gehen. Und Handke denkt ja auch nicht daran, seinen Wohnsitz statt in einem Vorort von Paris in der näheren oder weiteren Umgebung von Belgrad zu nehmen.

Klug sind sie also schon auch, die Dichter. Nur beim Politischen darf man nicht so genau hinschauen. Überraschenderweise will das auf Dauer auch niemand. Das entscheidende Kriterium ist stets, ob der Dichter seine Popularität seinen politischen Parteinahmen verdankt oder ob die Aufmerksamkeit, die seine politischen Äußerungen finden, auf seinen Rang als Dichter zurückzuführen ist. Bei Peter Handke ist sicherlich Letzteres der Fall.