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Archiv-Artikel

Nur nicht das Volk langweilen

Linker Populismus stürzt seine Anhänger in ein unauflösbares Dilemma: Wer populistisch auftritt, verrät den aufklärerischen Impetus, der jedes linke Projekt bestimmt

Zwischen rechtem Populismus und Rechtsextremismus gibt es nur graduelle Unterschiede

Populismus zu definieren, scheint dem Versuch zu gleichen, einen Pudding an die Wand zu nageln. Mit dem Begriff werden seit über 100 Jahren politisch wie sozial gänzlich unterschiedliche Bewegungen benannt: vom Kampf der amerikanischen Kleinfarmer gegen die Eisenbahngesellschaften im 19. Jahrhunderts über die Sozialprogramme lateinamerikanischer Militärdiktatoren des 20. Jahrhunderts bis hin zu den Steuerverweigerern und der ökologischen Bewegung unserer Tage.

Gegenwärtig hat Populismus wieder Konjunktur in den Medien, wobei ziemlich freihändig mit der Unterscheidung zwischen Links- und Rechtspopulismus hantiert wird. Beispielsweise figuriert der polnische Bauernführer und jetzige stellvertretende Premier Andrzej Lepper in unserer Presse als Linkspopulist, weil er, als „Anwalt der kleinen Leute“ auftretend, eine stärkere Staatskontrolle über die Ökonomie befürwortet. Und dies, obwohl Lepper das Arbeitsbeschaffungsprogramm der Nazis mehrfach ausdrücklich gutgeheißen hat. Nach dieser Logik wäre der Hitler der 30er-Jahre Linkspopulist gewesen.

Trotz der Verschwommenheit des Begriffs „Populismus“ können wir, quasi für den Hausgebrauch, in entwickelten Industriegesellschaften doch einige Merkmale ausmachen. Die Forschungsgruppe „Siren“ untersucht in einer empirischen Studie von 2003 den rechten Populismus. Dieser statuiere, so die Studie, eine Gemeinschaftlichkeit des Volkes jenseits aller besonderen Gruppeninteressen, vertrete eine kulturell homogene Gesellschaft, sei also gegen Minderheiten gerichtet. Zudem trete er dafür ein, dass soziale Wohlfahrt nur den „eigenen“, hart und ehrlich arbeitenden Leuten zukommen solle. Charakteristisch sei die Anfälligkeit für den Führerkult, eine Geringschätzung der demokratischen Institutionen und ein durchgängiger Autoritarismus in sozialen Beziehungen. Zwischen rechtem Populismus und Rechtsextremismus sieht die Studie nur graduelle Unterschiede.

Wie sieht es nun mit dem Linkspopulismus aus? Teilt er der Form oder sogar dem Inhalt nach Strukturmerkmale mit dem rechten Populismus? Vor allem seitens konservativer Wissenschaftler wurden die Anti-AKW-Bewegung und die Friedensbewegung der 70er- und 80er-Jahre als Beispiel aufgeführt. Damals sei es nach Meinung der Kritiker darum gegangen, eine Volksgemeinschaft angesichts der atomaren Bedrohung heraufzubeschwören, „informelle“ FührerInnen und damit einen Führerkult zu etablieren und die Institutionen der parlamentarischen Demokratie im Namen einer angeblichen Unmittelbarkeit des Volkswillens „der Basis“ zu diskreditieren. Diese Analyse des „Linkspopulismus“ der neuen sozialen Bewegungen unterschlägt deren wichtigstes Merkmal: die allseits akzeptierte Verpflichtung auf rationale Begründung der Politik und die Transparenz der Entscheidungsprozesse. Unterschiedliche Interessen wurden gerade artikuliert und nicht im Namen einer elementaren „Überlebenslogik“ des ganzen Volkes beiseite geschoben.

Sind die Anrufung „des Volkes“ als vorgeblicher Einheit, die Behauptung des Gegensatzes „die da oben, wir da unten“, die Verachtung demokratischer Institutionen und der Führerkult also nur typisch für rechte Demagogie? Keineswegs. Es sollte aber klar sein, dass linker Populismus seine Anhänger in einen unauflösbaren Widerspruch verwickelt. Wenn sie populistisch auftreten, verraten sie den aufklärerischen Impetus, der jedes linke Projekt bestimmt, sie hören also auf, links zu sein. Bleiben sie hingegen Linke, so verliert ihr Populismus seine begründenden Elemente. Denn jede Politik mit linkem Anspruch geht von der Selbstverantwortung und dem Selbstbewusstsein linker Aktivisten aus, was nicht auf rationale Begründung der Politik verzichten kann und nicht auf Führerfiguren reduzierbar ist.

Wie ist unter solchen Voraussetzungen die Politik Oskar Lafontaines zu beurteilen, der ja in den Medien als wesentlicher Exponent des Linkspopulismus gehandelt wurde und wird?

Lafontaine selbst begreift sich als Politiker, der dem Volk aufs Maul schaut. Im Spiegel-Interview sagte er im März dieses Jahres, „die Linke spricht die Sprache des Volkes. Wenn Sie das als ‚rechts‘ diffamieren wollen, so ist das Ihr Problem“. Als ihm der Satz vorgehalten wurde, man könne „die ganze Bande Bundestag in einen Sack stecken und draufhauen, man träfe schon immer den Richtigen“, antwortete er: „Das ist ein Sprachbild aus meiner saarländischen Heimat.“ Lafontaine stört es nicht, wenn man ihn einen Populisten nennt. Denn: „Es gibt genügend dröge Leute, die das Volk langweilen.“

Löst sich also bei Lafontaine der Populismus in eine Art von sprachlicher Volkstümlichkeit auf, die nur dazu dient, die Dinge drastisch beim Namen zu nennen, gewissermaßen „auf Deutsch“. Lafontaine selbst sieht das so, aber objektiv bedient die Metapher vom „in den Sack stecken“ der Politiker die Vorstellung, institutionalisierte Politik führe per se zu Korruption, womit das klassische rechte Stereotyp vom schmutzigen, in die eigene Tasche wirtschaftenden Politiker aufgerufen wird. Ganz so, als ob eine reaktionäre, arbeiterfeindliche Politik nicht von subjektiv ehrenhaften Leuten durchgezogen werden könne. Metaphern sind ebenso wenig unschuldig wie Begriffe, mögen sie auch „wie selbstverständlich“ gebraucht werden. Man erinnere sich des „Fremdarbeiters“.

Franz Müntefering zeigte sich mit seiner Heuschrecken-Rhetorik als dereigentliche Populist

Allerdings sieht Lafontaine nirgendwo „das Volk“ als eine mythische Einheit, die gegen die „Reichen“ in Stellung zu bringen wäre. Hier zeigte sich Müntefering als der eigentliche Populist, indem er mit seiner Heuschreckenrhetorik einen weit verbreiteten moralischen Protest in der Bevölkerung kanalisieren und unschädlich machen wollte. Lafontaine hingegen nennt konkret Täter wie Opfer der „Reformen“ und schlägt eine Alternative vor. In dieser Hinsicht ist er Praktiker des sozialen Konflikts, ein Antipode des Populismus.

Vor zwei Jahren hat der Politikwissenschaftler Franz Walter in der taz behauptet, es könne auch „einen legitimen, republikanischen Linkspopulismus“ geben. Wie könnte ein solcher Linkspopulismus aussehen? Als „republikanischer“ hätte er die demokratischen Institutionen zu verteidigen und sich gegen jeden Autoritarismus zu verwahren. Als „legitimer“ müsste er die demokratische Initiative sozialer Bewegungen stärken. Was wäre dann an diesem Linkspopulismus noch populistisch?

Franz Walter wollte sich aber entgegen seiner Wortwahl mit seiner These überhaupt nicht auf das Problem des Populismus einlassen. Vielmehr kam es ihm darauf an, die Politik stärker mit den Emotionen „im Volk“ in Verbindung zu bringen, die sich im Gefolge der Krise des Wohlfahrtsstaates entwickelt haben und jetzt „flottieren“ – vor allem mit dem Gefühl, dass durch die „Reformen“ elementare Grundsätze der Gerechtigkeit verletzt wurden. Eine solche „Politik der Gefühle“ hätte freilich mit dem Populismus jedweder Couleur nichts zu tun. CHRISTIAN SEMLER