VOR DER STABI
: Kriegsverlust

„Nein“, sagt der Professor barsch

Vormerkungen kosten jetzt einen Euro. In der Regel sind aber jene Bücher ausgeliehen, für die man sich nur entschieden hat, weil die, die man wirklich bräuchte, gar nicht erst angeschafft wurden, immer noch beim Buchbinder oder mit dem Vermerk „Kriegsverlust“ versehen sind. Viele einzelne Euros wachsen sehr schnell zu einem zweistelligen Eurobetrag an. Dann wird das Konto gesperrt. Man muss zur Staatsbibliothek fahren, um zu blechen. Der Weg ist unbequem, aber gangbar. Wenn nicht … Wenn nicht gerade wegen Bauarbeiten das ganze Haus geschlossen ist. Oder die Leihstelle. Oder die Angestellten sind auf einem Betriebsausflug. Statt eines Verweises auf der Internetseite hängen dann Zettel an den Türen, und von weitem sieht man Studenten durch die Fenster spähen. Um sich nicht zu sehr zu ärgern, dreht man am besten gleich um und tut, als hätte man es sich anders überlegt. Was man durch „Erasco“ spart, wirft man dann am selben Abend „Amazon“ in den Rachen.

Die Staatsbibliothek deshalb zu verachten, wird einem aber madig gemacht. Denn: mag man Präsenzbibliotheken lieber? Nachdem die FU Dubletten abschaffte, herrscht in den wenigen Bibliotheken, die Bücher wenigstens über das Wochenende herausgeben, Schlussverkaufsatmosphäre. Entwürdigend. Es gibt eine Hierarchie, die garantiert, dass Professoren Bücher über Monate horten können. Die anderen müssen freitags die Ärmel hochkrempeln.

Eine Freundin erzählte mir neulich, sie biete ihrem Prof gelegentlich an, die ungelesenen Bücher zurückzubringen. Aus Restsolidarität mit den Studierenden. „Nein“, sagt er dann barsch und widmet sich seinem eigenen Werk. Diese Geschichte vor den Augen, eilt man zur Staatsbibliothek. Wer weiß, vielleicht ist sie das nächste Mal einfach verschwunden? Man würde sich nicht wundern. Auf einem Zettel stünde dann einfach: „Kriegsverlust“. SONJA VOGEL