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Archiv-Artikel

Teilerfolg für Magnus Gäfgen

MENSCHENRECHTE Europäisches Gericht verurteilt Deutschland, weil es auf Folterdrohung gegen den Kindsmörder nur halbherzig reagierte

Die Verurteilung zu lebenslanger Haft beruhe nicht auf der Folterdrohung

VON CHRISTIAN RATH

Deutschland hat den Kindsmörder Magnus Gäfgen unmenschlich behandelt, als ihm 2002 Folter angedroht wurde. Dies stellte jetzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg fest. Deutschland habe den Vorfall auch nicht angemessen aufgearbeitet. Der Strafprozess gegen Gäfgen muss aber nicht neu aufgerollt werden.

Der damals 27-jährige Jurastudent Magnus Gäfgen hatte 2002 den Bankierssohn Jakob von Metzler (11) aus Geldgier entführt und ermordet. Der Fall sorgte für großes Aufsehen, auch weil die Polizei dem Entführer kurz nach der Festnahme Folter angedroht hatte. Gäfgen sollte den Aufenthaltsort des Kindes bekannt geben – das aber zu diesem Zeitpunkt bereits tot war. Der Entführer brachte die Polizisten nur noch zur Leiche von Jakob. 2003 wurde Gäfgen wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

In Straßburg beschwerte sich Gäfgen, dass das deutsche Gerichtsverfahren unfair gewesen sei. Er sei mit Hilfe von Beweismitteln verurteilt worden, die die Polizei nur mit Folterdrohung erlangt habe. Außerdem bat er um ausdrückliche Feststellung, dass er Opfer einer Menschenrechtsverletzung wurde.

In einem ersten Urteil hatte der Straßburger Gerichtshof 2008 Gäfgens Klage abgelehnt. Die Verurteilung habe auf einem neuen Geständnis Gäfgens beruht. Eine Verurteilung Deutschlands wegen Folter hielt der Gerichtshof für überflüssig, deutsche Gerichte hätten unzweideutig das Vorgehen der Frankfurter Polizei als Verstoß gegen das Folterverbot gebrandmarkt.

Gegen diese Entscheidung legte Gäfgens Anwalt Michael Heuchemer Rechtsmittel ein und konnte nun zumindest einen Teilerfolg erzielen. Die Große Kammer des Gerichtshofs, der 17 Richter angehören, verurteilte Deutschland ausdrücklich wegen „unmenschlicher Behandlung“ Gäfgens. Der heute 35-Jährige habe seinen Opferstatus auch noch nicht verloren, weil Deutschland die Folter-Affäre nur halbherzig aufgearbeitet hatte.

So wurde der Frankfurter Polizei-Vize Wolfgang Daschner, der die Folterdrohung anordnete, 2004 nur zu einer geringen Geldstrafe auf Bewährung verurteilt. Dies habe nicht den „notwendigen Abschreckungseffekt“ gehabt, argumentierten die Straßburger Richter. Auch die Beförderung Daschners zum Leiter des Polizeipräsidiums für Technik im Jahr 2006 ließ den EGMR zweifeln, ob Deutschland angemessen reagiert hat. Bemängelt wurde schließlich, dass über Gäfgens Schadensersatz-Klage in Deutschland immer noch nicht entschieden ist.

Gäfgen kann die Verurteilung aber nicht nutzen, um eine Wiederaufnahme seines Verfahrens zu beantragen. Denn der zweite Teil seiner Klage wurde erneut abgelehnt. Die Verurteilung zu lebenslanger Haft habe nicht auf Beweismitteln beruht, die mit Hilfe der Folterdrohung gewonnen wurden. Vielmehr habe Gäfgen in seinem Prozess ein neues Geständnis abgelegt und dies als Ausdruck seiner Reue bezeichnet. Gäfgen hätte also auch verurteilt werden können, wenn die unter dem Eindruck der Folterdrohung gewonnenen Beweismittel gesperrt worden wären.

Anwalt Heuchemer hatte in seinem Plädoyer argumentiert, dass Gäfgen aufgrund der erdrückenden Beweislage praktisch gestehen musste, das Geständnis also nicht wirklich freiwillig war. Die Entscheidung der Richter fiel jeweils mit elf zu sechs Stimmen.

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