Nadelstiche für den Kunstmarkt

SUBKULTUR VERPLAUDERN Rocko Schamoni und Wolfgang Müller in der Berliner Volksbühne

So lernt man also, was Gebeuyse ist. Rocko Schamoni, Hamburger Musiker, Autor und Filmemacher, plaudert gerade über den von ihm seit 1995 betriebenen Golden Pudel Club in St. Pauli, als die Rede auf die Soziale Plastik im Sinne von Joseph Beuys kommt. Nichts anderes sei doch der Pudel Club, konstatiert Schamoni. Hundert Prozent Kunst. Eine soziale Skulptur am Hamburger Hafenbecken – ein einziges „Gebeuyse“, wie er sagt.

Schamoni sitzt am Samstag gemeinsam mit dem Berliner Postpunk-Künstler Wolfgang Müller (Die tödliche Doris) auf dem Podium des Roten Salons in der Berliner Volksbühne. Die beiden sind eingeladen, um über Sub- und Gegenkultur sowie deren Stellenwert im aktuellen Kulturbetrieb und Kunstmarkt zu sprechen. Dem Thema und den Gästen entsprechend ist dies zumindest unterhaltsam: Während Rocko Schamoni Parolen grölt („Fuck Bedeutung“), fällt Wolfgang Müller zum Kunstmarkt nur ein: „Wir kommen nicht zum Markt; wenn, dann kommt der Markt zu uns.“

Zur Diskussion hat der Hamburger Kunstsammler und Autor Harald Falckenberg geladen; es ist der dritte Teil der Gesprächsreihe „Aus dem Maschinenraum der Kunst“. Falckenberg, dessen Kunstsammlung zu den wichtigsten zeitgenössischen hierzulande zählt, schrieb vor sechs Jahren einen Essay gleichen Namens. Darin fordert er für das postideologische Zeitalter eine subversive, spielerische, selbstreflexive Kunst ein.

So passt es, dass Falckenberg sich mit Müller einen der wichtigen Vertreter der westlichen Vorwende-Subkultur und mit Schamoni einen der bedeutenderen Künstler der jüngeren Zeit aufs Podium holt. Beide sehen Kunst nicht an Formate geknüpft, sehen sich an keine künstlerische Gattung gebunden – und beide kreisen genüsslich um die Blase Kulturbetrieb, setzen dabei mal Nadel-, mal Messerstiche.

„Wenn man Kunst machen will, sollte man sich dem Kunstbetrieb entziehen“, erklärt Schamoni; entsprechend viel redet er über Projekte wie eben den Golden Pudel Club, der bis heute primär keine kommerziellen Interessen verfolgt. Wie die Strategien, sich dem Kunstbetrieb fernzuhalten, aussehen können, spricht Moderator Falckenberg leider nicht an – ebenso wenig wie die Frage, ob Schamoni dies gelänge. Über dessen jüngst beendete Crowdfunding-Aktion für ein neues Album (Arbeitstitel: Die Vergessenen – er will vergessene Songs des deutschsprachigen Raums neu interpretieren), die mit mehr als 41.000 Euro erfolgreich war, hätte man etwa sprechen können. Ist dies heute wirklich ein gangbarer Weg zur Unabhängigkeit vom Kunstbetrieb? Was bedeutet überhaupt Unabhängigkeit im Kontext Kulturproduktion?

Eine Lektion Postpunk für den Moderator

Es bleibt hingegen ein Abend im Plauderton, bei dem sich der – vorrangig in den bildenden Künsten beheimatete – Falckenberg über Punk und Postpunk in der Musik aufklären lässt. So drehen sich die Fragen um die Punk-Biografien beider Künstler, die Falckenberg als „multiple Persönlichkeiten“ vorstellt.

Wolfgang Müller berichtet von seinen Kunstprojekten mit Gehörlosen (seine Ausstellung „Gebärde Zeichen Kunst – Gehörlose Kultur/Hörende Kultur“ im Berliner Künstlerhaus Bethanien 2012), deren Sprache und Kommunikation er als Subkultur bezeichnet. Und er erzählt von seiner Liebe zu Island („weil da nichts ist“) oder seiner Verehrung für die Schauspielerin und Kabarettistin Valeska Gert. Zwischenzeitlich versucht Schamoni, dem Gespräch durch provokative Einwürfe Wendungen zu geben.

Leider zeigt sich Moderator Falckenberg nicht immer ausreichend vertraut mit dem Werk beider Künstler – und wirklich schlauer im Hinblick auf den heutigen Stand der Subkulturen geht man nicht nach Hause. Man hätte schon gerne gewusst, welche aktuellen, jüngeren Strömungen man noch bedenkenlos als Subkultur labeln würde. Gerade an dem Punkt, wo sich die Generation nach Müller und Schamoni derzeit an Verbindungen zwischen Postpunk, Noise, experimenteller Musik und bildender oder visueller Kunst sowie Performance abarbeitet, wäre es spannend geworden.

Dass Subkultur auch heute noch mit Subversion zu tun haben kann, zeigte Schamoni immerhin zuletzt, als er gemeinsam mit Dorle Bahlburg und Jonathan Johnson seine Schmuckkollektion „Scheiße by Schamoni“ auf den Markt warf. Es ist zu empfehlen, sich mit dieser Kollektion vertraut zu machen. Jedenfalls erzählt sie mehr über subkulturelle Praxis als dieser Abend im Roten Salon.

JENS UTHOFF