SPAZIERGÄNGE
: Öko-Missbrauch

Ein Bio-Kind hält sich nicht an die Regeln

Diese Aussicht, ich bin mir ganz sicher, hättest du mir nie geglaubt, dass es die überhaupt gibt, sagte Heiner, mein bester Freund, zu mir. Und bevor ich irgendetwas erwidern konnte, fingerte er schon ein paar Tupperschüsseln aus dem Ranzen. Wow, dachte ich. Erstens hat er die guten alten Plastikboxen seit der Schulzeit aufbewahrt und zweitens hat er wirklich vorgedacht: Da sprudelte nicht nur Darjeeling aus einer temperierten Thermoskanne, nein, er hatte auch Zucker und Zitronenscheiben eingepackt. Eine Handvoll Cookies für die, die nicht auf eine vermeintliche Ideallinie achten mussten. Lecker.

Wir standen auf einer kahlgeschorenen Anhöhe, ein nichtssagender, kleinerer Zwilling des stadtbekannten Teufelsbergs, den ich allerdings – ich gebe es offen zu – bis gestern ignoriert hatte und nun umso mehr links von mir liegen ließ. Auf dem Hügel, auf dem wir jetzt saßen, konnte man bis zum Alex sehen – und auch der Turm des Roten Rathaus erschloss sich mir, nach dem ich meine Augen sehr, sehr zusammengekniffen hatte. Neben uns hatten Jugendliche die Socken ausgezogen und schwangen das Shaolin-Schwert. Andere ließen ihre Mini-Paraglider steigen, der Frühlingswind blies von Westen über die Kuppel herein.

Wir nagten simultan an einem von Heiner spendierten Nussnougatriegel. Die Miniparaglider kamen uns näher und näher, frisierten uns fast. Heiner packte das Picknick zusammen und wies ins Tal. Wir tuckelten zu einem klaren See. Heiner sagte Ökowerk, und wir holten Bioeis und setzen uns an ein von den letzten Sonnenstrahlen des Tages vergoldetes Ufer.

Alles klar. Nur ein Bio-Kind hielt sich nicht an die Regeln und warf einen fetten Stein zwei Zentimeter weit vom Sitzplatz seines Vaters. Der war nassgespritzt und sprintete los, seinem Jüngsten den Hosenboden zu versohlen. Heiner schnalzte leise „Missbrauch und Ökologie“. TIMO BERGER