: „Wettbewerb kann es nur bei gleichen Startchancen geben“
Die Föderalismusreform muss korrigiert werden, sagt der ehemalige Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP). Sonst sieht es schlecht aus mit der Technologienation Deutschland
taz: Herr Kinkel, Sie haben sich in letzter Zeit verstärkt zu Bildungsthemen geäußert. Wie kommt’s?
Klaus Kinkel: Ich mache mir gewaltige Sorgen. Wenn Sie aus der Hubschrauberperspektive auf unser Land schauen, wird klar, dass wir – wenn es so weitergeht – bald keine große Technologienation mehr sein werden. Das habe ich vorher so nicht gesehen. Ich habe mich als Bundesjustizminister und als Außenminister mit diesen Themen nicht so intensiv beschäftigen können. Seit zwei Jahren aber leite ich die Deutsche Telekom-Stiftung, die sich mit Bildungs-, Forschungs-und Technologiefragen beschäftigt. Seitdem habe ich mich mächtig in diese Themen hineingekniet.
Die Föderalismusreform soll die Qualität der Bildung verbessern. Doch die Experten, die Anfang der Woche im Föderalismusausschuss angehört wurden, behaupten das Gegenteil. Was stimmt?
Die Experten haben Recht. Und das hat ja auch die Anhörung im Bundestag ergeben. Und jeder, der etwas von der Materie versteht, wird Ihnen das so sagen. Denn der bisher ausgehandelte Kompromiss führt zwangsläufig wieder zur Kleinstaaterei. Wie wollen Sie unseren Partnern im Ausland erklären, dass wir 16 verschiedene Hochschulgesetze und über 2.000 verschiedene Lehrpläne haben? Wir stehen nicht umsonst auf einem der hinteren Plätze bei der Bildung im internationalen Vergleich. So sieht der von uns mit dem BDI herausgegebene Innovationsindikator Deutschland unter den 13 führenden Industrienationen auf Platz 9. Und im wohl bekanntesten Uni-Ranking erscheint die erste deutsche Uni auf Platz 48.
Dadurch, dass den Bundesländern die Verantwortung für die Bildung gegeben wird, soll der Wettbewerb zwischen ihnen gefördert werden. Das müsste Ihnen als Liberaler doch eigentlich gefallen.
Natürlich bin ich für den freien Wettbewerb. Nur: Wettbewerb erfordert, dass die Konkurrierenden einigermaßen vergleichbare Startchancen haben. Dies ist bei uns nicht der Fall. Wie sollen Länder wie Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt mit Bayern und Baden-Württemberg in Wettbewerb treten. Ja, wenn es gleiche Startchancen gibt: dann Vorfahrt für die Besseren, Fleißigeren, die Engagierteren, die Ideenreicheren, diejenigen, die wirklich was zu Wege bringen. Doch so wie es jetzt ist, können wir arme Länder doch nicht noch ärmer machen dadurch, dass wir ihnen keine Chance geben.
Was muss getan werden, um die Chancengleichheit der Länder herzustellen?
Das ist nicht einfach. Aber die jetzt geplante Föderalismusreform wird die Ungerechtigkeiten nur noch verschlimmern. Ich sage: Föderalismusreform – ja endlich; aber bitte bei der Bildung langsam voran und noch mal nachdenken. Der Bund darf im Bildungsbereich nicht völlig rausgekickt werden.
Vorgesehen ist, dass die Kultusministerkonferenz steuert.
Das wird nicht funktionieren. Wir werden ein föderales Durcheinander bekommen. Die Kultusministerkonferenz hat es bereits in der Vergangenheit nicht fertig gebracht, die 16 Bildungsanstrengungen zu koordinieren.
Warum will der Bund seine Kompetenzen bei dem allgemein als wichtig anerkannten Thema Bildung an die Länder abgeben?
Das war ein von einigen Ländern erpresster Kompromiss, auf den die große Koaltion sich hoffentlich nicht einlassen wird. Es gibt ja bereits massive Widerstände. Deswegen würde es wohl einen Aufschrei im Land geben, wenn die Föderalismusreform im Bildungsbereich, so wie sie jetzt geplant ist, durchkommt.
Glauben Sie, das Föderalismuspaket wird tatsächlich noch einmal aufgeschnürt?
Es muss. Die föderalen Strukturen sind nun mal in mancher Beziehung eben Hemmschuhe. Ich hoffe, die Anhörung im Bundestag am Montag hat das deutlich gemacht.
Würde es reichen, das Kooperationsverbot aus den Reformplänen herauszunehmen?
Das wäre eine wichtiger Anfang. Aber das allein reicht nicht. Der Bund darf sein Gesamtmitspracherecht nicht verlieren – bei Lehre, Forschung und im Hochschulbau etwa. Denn da liegen ja unsere Schwächen.
Zentrale Förderprogramme des Bundes wie jenes für Ganztagsschulen standen jedoch in der Kritik, weil die Gelder nicht entsprechend verwendet wurden. Wie kann man den Gelderfluss besser kontrollieren?
Das ist ein berechtigter Einwand. Die Kontrolle war in der Vergangenheit tatsächlich ein Problem. Doch weil das schwierig ist, darf das nicht zwingend bedeuten, die Entscheidungen ausschließlich in die Hände der Länder zu legen.
Die Bildungsministerin will in einem Hochschulpakt festlegen, dass der Bund die Forschung fördern kann. So sollen mehr Studienplätze geschaffen werden. Bringt das was für die Bewältigung der heftig ansteigenden Anzahl von Studierenden?
Ja, aber wiederum nicht genug. Andere vergleichbare Länder haben zentrale Bildungsansätze, wir nicht. Das ist eine Schwäche in unserem Land. Wir sind auf dem falschen Weg. Und in der großen Koalition wird Bildung nicht als das behandelt, was es ist: das Mega-Thema überhaupt. Solange wir nicht in unserem rohstoffarmen Land auf Bildung unser zentrales Augenmerk legen, werden wir weiter hinterherhinken. INTERVIEW: SASCHA TEGTMEIER