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Archiv-Artikel

Osttimors Präsident Gusmão greift durch

Der Präsident versucht den Ost-West-Konflikt im Sicherheitsapparat zu lösen, indem er dem Premierminister den Oberbefehl entzieht. Doch die Brandstiftungen und Plünderungen durch Gangs gehen im jüngsten Staat der Welt weiter

VON SVEN HANSEN

In Osttimors Hauptstadt Dili ist es auch gestern trotz Anwesenheit von knapp 2.300 australischen und anderen Soldaten einer internationalen Interventionstruppe wieder zu Brandstiftungen, Plünderungen und Straßenkämpfen rivalisierender Gangs gekommen.

Um der Gewalt Herr zu werden, übernahm der populäre Präsident Xanana Gusmão nach zweitägigen Krisengesprächen mit dem unbeliebten Premier Mari Alkatiri von diesem für 30 Tage die Kontrolle über Armee und Polizei. Er werde seine Vollmachten gemäß dem Notstandsgesetz einsetzen, um die Gewalt zu beenden und für die Rückkehr von Ruhe und Ordnung zu sorgen, sagte Xanana Gusmão am Abend.

„In der Nacht gab es wieder Brandschatzungen. Und morgens ging die Gewalt früh los. Leute aus dem Osten und dem Westen haben sich bewaffnet und sind aufeinander losgegangen. Es gab heftige Schießereien“, berichtete die deutsche Entwicklungshelferin Maria Schanz der taz aus Dili. Sie ist eine der wenigen Deutschen, die nach Ausbruch der Gewalt vergangene Woche in Dili geblieben sind. Dabei kamen bisher mindestens 20 Menschen ums Leben.

Laut Schanz sei es Friedensnobelpreisträger und Außenminister José Ramos-Horta tagsüber gelungen, in dem von ihr beobachteten Kampf zweier Gruppen zu vermitteln. „Das hat er ganz gut hinbekommen“, sagte sie. Nach Medienberichten entwaffneten auch australische Truppen einige Gewalttäter, die oft mit Macheten ausgerüstet sind, aber laut Schanz zum Teil auch über Granaten verfügten.

Verhindern konnten die Australier jedoch nicht, dass gestern auch das Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft geplündert wurde. Wie deren Chef, Longuinhos Monteiro, sagte, wurden zahlreiche Akten vernichtet, darunter auch viele Dokumente über die Gewalt proindonesischer Milizen zur Zeit des Unabhängigkeitsreferendums 1999.

Die Krise war durch die Entlassung von 600 streikenden Soldaten, rund 40 Prozent der Armee des jungen Staates, im März ausgelöst worden. Diese hatten sich über Benachteiligungen gegenüber Soldaten aus dem Osten beklagt. Dort war die Hochburg der antiindonesischen Guerilla, die gegen die 1975 bis 1999 dauernde Besetzung des Nachbarn ankämpfte und aus der sich die Armee hauptsächlich rekrutierte. Die Osttimor-Expertin der Berliner Organisation Watch Indonesia, Monika Schlicher, warf Alkatiri gestern vor, die Beschwerden der Soldaten ignoriert und ihre Proteste blutig niedergeschlagen zu haben. Als er den Schießbefehl erteilt hätte, seien Teile der Armee desertiert. Als die Meuterer auf Dili vorrückten, seien die Konflikte zwischen Westlern und Ostlern vollends ausgebrochen und hätten auch die Polizei gespalten.

In das durch die Kämpfe zwischen rivalisierenden Polizei- und Militäreinheiten entstandene Machtvakuum sind inzwischen kriminelle Gangs gestoßen und haben zehntausende Menschen in die Flucht getrieben. „Wegen der hohen Arbeitslosigkeit gibt es in Dili viele junge Männer, die sich in Banden organisieren“, so Schlicher, die von einer „hausgemachten politischen Führungskrise“ spricht.

Viele Osttimorer bis hin zum katholischen Bischof Dom Alberto Ricaro sahen bisher im Rücktritt Alkatiris die einzige Lösung. Doch dieser weigerte sich, und auch Gusmão schien ihn nicht dazu bewegen zu können. Laut Schlicher zögerte der durch ein Rückenleiden geschwächte Gusmão viel zu lange einzugreifen. Erst am Montag kam es zum ersten Treffen mit Alkatiri seit Ausbruch der Gewalt.

Laut Schanz dürfte es noch eine Weile dauern, bis die Situation so weit stabilisiert ist, dass die Menschen, die vielfach aus ihren Häusern in Kirchengebäude geflohen sind, wieder mit Lebensmitteln versorgt werden können. „Die Situation ist grauenvoll“, sagt sie. „Heute Nacht werden wieder Kollegen anrufen und verzweifelt um Schutz bitten.“