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Archiv-Artikel

Auftrainiert und plump

Das glückliche 2:2 gegen Japan entschuldigt die DFB-Elf mit der zehrenden Vorbereitung („schwere Beine“) und bringt höchstens Erkenntnisse darüber, wer alles nicht in das WM-Team gehört

„Wir sind mit einem Unentschieden davongekommen“

AUS LEVERKUSEN BERND MÜLLENDER

Im „Mercedes-Club“ waren nachher „Sushi vegetarisch“ gereicht worden, dargeboten als „etwas ganz Besonderes“. Die zierlichen Reishaufen an Ingwer und Sojatunke passten zum Spiel. Auch das war nicht Fisch, nicht Fleisch gewesen. Ein peinliches 2:2 gegen Japan, nach 0:2-Rückstand (beide Tore Takahara) und Abwehrblößen, die eigentlich die Sittenpolizei auf den Plan hätten rufen müssen. Ein zu bejubelndes 2:2, weil zwei Freistöße in der Schlussphase den eigenen Mann gefunden hatten (Klose und Schweinsteiger). Ein 2:2, das nach dem Ausgleich noch einmal hätte kippen können, aber der formidable Jens Lehmann hielt zwei Mal spektakulär. 2:2 – und jetzt?

Im Ausland ist der Fall klar. Ein Spott-Orkan voller Wahrheiten zog gestern durch die europäischen Gazetten. „Deutschland macht sich fast lächerlich“, schrieben die einen, von humpelnder Qual, erbärmlicher Performance, Peinlichkeiten und Wackelabwehr andere.

Kernfigur gegen Japan war Jens Nowotny, der spät wie überraschend berufene Defensiv-Oldie. „Lichtpunkte und Schatten“ hatte er gesehen und nannte das Spiel einen „Schuss vor den Bug“. Dann gelang ihm ein Lichtstrahl von Satz auf eine Vorstellung im Bereiche weitgehender Düsternis: „Wir haben einen enormen Kraftaufwand betreiben müssen, um mithalten zu können.“ Mithalten gegen, mit Verlaub, Japan. Mithalten, als selbsternannter Titelabholwoller. Nowotny hatte nach zwei Jahren erstmals wieder für den DFB gespielt. Chefcoach Jürgen Klinsmann vermied es, den Auftritt des Exleverkuseners näher zu bewerten. Alle hatten gesehen, dass Nowotny nach 55 Minuten eingewechselt worden war und die deutsche Elf nach 56 Minuten 0:1 zurücklag, weil der 32-Jährige erst falsch stand und dann nach Kräften, also zu langsam, hinterherlief. Nowotny bekannte nachher seine WM-Chancen: „Ich rechne mir nicht viel aus.“

Der Abend von Leverkusen zeigte, dass es entgegen landläufiger Meinung doch noch Kleine im Weltfußball gibt. Zumindest im Wortsinn. Japans Elf war trotz Kürzerwüchsigkeit enorm kopfballstark, defensiv brillant organisiert und spielte, angetrieben vom grandiosen Edeltechnikus Nakamura, einen tollen und kontergeilen Fußball: blitzschnell, direkt, mit bisweilen seziermesserscharfer Präzision. Japans brasilianischer Coach, der große Zico, fand nachher vieles „tudo bem“, also richtig gut, und er war stolz auf „viele schnelle Pässe und viele Chancen“ der Seinen. Die körperlich auftrainierten Deutschen, geschult zu einem „Muskel-Kader“ (Aachener Zeitung), wirkten dagegen plump und schwerfällig. „Der Deutsche wird nie ein Brasilianer sein“ (Berti Vogts) – und ein flinker Japaner auch nicht.

Immerhin, es war ein unterhaltsames Match, aufregend gar in den letzten 20 Minuten. Vieles, so Klinsmann („Wir sind mit einem Unentschieden davongekommen“) sei noch zu tun, etwa „Wachsamkeit und Konzentration, das schnelle Reagieren nach Ballverlust“, dass man besser „den Mann zumacht“. Fehler werde es immer geben („Das ist Fußball“), aber „wir arbeiten daran, dass es weniger werden“. Kaum mehr als eine Woche bis zum Eröffnungsspiel, aber Optimist Klinsmann sagt: „Die Zeit wird nicht knapp.“ Seine Uhr tickt ohnehin anders: „In den nächsten sechs Wochen wird sich hoffentlich noch was entwickeln.“

Ein Rätsel bleibt indes Hoffnungsträger und Leithammel Michael Ballack. Nicht nur wegen auffallend vieler Fehlpässe oder einer Reihe übler wie plump taktischer Fouls, die ihn an den Rand einer Rotstrafe brachten. Sondern wegen provozierender defensiver Nachlässigkeiten vor allem in der 1. Halbzeit, die den Japanern auf seiner rechten Seite mehrfach Überzahl und feinste Konterchancen ermöglichten. Dumm sah dabei Hilfsverteidiger Bernd Schneider aus, der für den indisponierten Querpass-Strategen Arne Friedrich spielte. Wenig überzeugend auch: Ballack gemeinsam mit dem überraschend zentral agierenden Tim Borowski. Debütant David Odonkor kam für ihn, war „ein bisschen nervös“ und fiel durch die schnelle Verwarnung für eine Schschwalbe auf.

Ballack führte „schwere Beine“ als Entschuldigung an. Dabei hatte gerade er sie schonen können nach seiner Verletzung. Und hatten nicht die schweren Beine in der Schlussphase das Remis gerettet? Ballack bekannte mitten in die Diskussion um die vorgeblich so zehrende Vorbereitung: „Entscheidend sind die Spiele und die Ergebnisse.“ Das 2:2, so der Kapitän, sei zugegebenermaßen „glücklich für uns gewesen“. Heißt: Entscheidend ist das Glück. Die oberste deutsche Tugend. Jens Lehmann gab einem britischen Reporter in bestem Englisch zu verstehen: „Wir sind immer fähig uns zu befreien, you know, vor allem wenn keiner mit uns rechnet.“ Das trifft sich mit der Erkenntnis des argentinischen Fußballweisen Jorge Valdano: „Die Deutschen sind immer am gefährlichsten, wenn man als Zuschauer beginnt zu gähnen. Dann werden sie bald ein Tor schießen.“