dream team (2)
: Nestas Nerven in der Verteidigung

Um Italiens Fußball steht es gerade wie um das ganze Land. Nach dem Ende der Ära Berlusconi scheint der Putzwahn ausgebrochen zu sein. Überall beginnt das Aufräumen, und dabei fallen bekanntlich auch Dinge aus dem Regal, die man nicht mehr haben möchte: Mit Gianluigi Buffon von Juventus Turin steht nun nicht nur einer der besten Torhüter der Welt, sondern auch der Rückhalt der italienischen Nationalmannschaft dank Wettskandal mitten im Müll. Das wird den Italienern, wenn er denn spielt, einige Aufmerksamkeit sichern, die nicht unbedingt etwas mit dem Spiel zu tun hat. Und das ist schade. Denn direkt vor Buffon spielt einer, der wie kein zweiter die Veränderungen im modernen Fußball in der Abwehr verkörpert. Der am 19. März 1976 in Rom geborene Alessandro Nesta ist bei AC Mailand der erste Verteidiger der Neuzeit, der in der Lage ist, Stürmer mit ihren eigenen Mitteln zu bekämpfen.

Genauso kräftig, aber besser trainiert wie Ronaldo hat er den Riecher für den nächsten Schritt, den Angreifer und Ball machen werden. Nestas Stellungsspiel ist ohnegleichen. Man konnte das im Finale der Champions League 2003 gegen Juventus Turin verfolgen – eines jener Spiele, das vielen in schlechter Erinnerung ist, weil es aufgrund des hohen Niveaus torlos blieb bis zum Elfmeterschießen –, und es war ein Genuss. Es war die Überwindung der plumpen Vorstopper-Ästhetik von Rolf Rüssmann, Karl-Heinz Förster und Jürgen Kohler an einem Abend und in jeder Bewegung. Man hätte sich für Nesta einen Gegenspieler mit der Dynamik und Durchtriebenheit eines Marco van Basten gewünscht. Einfach um zu sehen, wie der damit umgeht. Nesta hat aber nicht nur einen manchmal unfassbaren Blick für den Raum und den Gegner, er spielt auch technisch versiert wie Trezeguet, Henry oder Adriano. Dabei ist er im Unterschied zu den Stürmerstars unauffällig versunken in den jeweiligen Anforderungen der Spielsituation, und das, obwohl er besser aussieht als die meisten anderen Fußballer.

Genau diese Sensibilität für seine Nebenleute und seine physische wie psychische Anpassungsfähigkeit an die Stimmung der Mannschaft ist auch seine Schwachstelle. Man konnte es in den letzten Spielen des AC Mailand häufig sehen. Wenn ein Riss oder Stau den Spielfluss hemmte, war es oft gerade Nesta, der, als ob ihn die Störung besonders hart mitgenommen hätte, ins Schwimmen geriet. Für Leute, die beim Fußball gern Tore sehen, wurde Nesta so auch zu einem beliebten Verteidiger. In der italienischen Nationalmannschaft steht ihm allerdings mit Fabio Cannavaro einer der coolsten Innenverteidiger an der Seite, den selbst Nestas Nerven nicht aus der Ruhe bringen. Man wird in den nächsten Wochen viel Freude an der Kunst der Verteidigung der beiden haben.

CORD RIECHELMANN