: Ein spezielles Gesetz
VON CHRISTIAN RATH
Wenn der Staat junge Menschen inhaftiert, übernimmt er eine ganz besondere Verantwortung. Denn er interveniert in einer Phase, in der sich die Persönlichkeit noch bildet. Daran erinnerte gestern das Bundesverfassungsgericht und forderte ein spezielles Gesetz für den Jugendstrafvollzug. Bis Ende 2007 hat der Gesetzgeber Zeit, die Anforderungen aus Karlsruhe umzusetzen.
Geklagt hatte der 20-jährige Karol R. Er sitzt in der Justizvollzugsanstalt Siegburg (Nordrhein-Westfalen) eine 9-jährige Jugendstrafe wegen Mordes ab. Nach einer Schlägerei in der Anstalt bekam er als zusätzliche Disziplinarstrafe u. a. eine 14-tägige Fernsehsperre. Außerdem wurde sein Briefverkehr routinemäßig überwacht. Doch gegen beide Maßnahmen erhob R. mit seinem Anwalt Verfassungsbeschwerde, da eine gesetzliche Grundlage fehle.
Bisher ist der Strafvollzug von Jugendlichen und Heranwachsenden nur mit wenigen Paragrafen im allgemeinen Strafvollzugsgesetz geregelt. Ansonsten greifen die Haftanstalten auf spezielle Verwaltungsvorschriften zurück. Das reicht nicht aus, entschied gestern der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts.
Junge Straftäter brauchten keine „Light-Variante“ des Erwachsenenstrafvollzugs, sondern Haftbedingungen, die auf ihre spezifische Situation eingehen, erklärten die Karlsruher Richter. So seien Jugendliche deutlich strafempfindlicher. „Das Zeitempfinden Jugendlicher ist anders als das Älterer. Typischerweise leiden sie stärker unter der Trennung von ihrem gewohnten sozialen Umfeld und unter dem erzwungenen Alleinsein“, heißt es in der Begründung.
Schon seit 30 Jahren ist dieser Mangel bekannt – und nach der mündlichen Verhandlung Anfang März war klar, dass die Richter ein eigenes Gesetz für die Jugendgefängnisse fordern werden. Gespannt waren Beobachter nur noch, wie konkret die inhaltlichen Vorgaben sein werden. Und hier war Karlsruhe ziemlich deutlich: „Der Staat muss den Strafvollzug so ausstatten, wie es zur Realisierung des Vollzugsziels erforderlich ist“, heißt es mit Blick auf die überall spürbare Sparpolitik.
Gefordert werden von den Richtern eine „ausreichende pädagogische und therapeutische Betreuung“, „ausreichende Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen“ sowie gezielte Entlassungsvorbereitungen. Am konkretesten wurde das Gericht, als es die Unterbringung „in kleineren Wohngruppen, differenziert nach Alter, Strafzeit und Straftaten“, besonders hervorhob. Außerdem müsse die Zahl der „Besuchsmöglichkeiten für familiäre Kontakte“ ein Mehrfaches über der für erwachsene Gefangene liegen.
Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) erklärte gestern noch im Gericht, dass sie bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf in der Schublade habe. Bisher war dieser allerdings nicht eingebracht worden, weil die Länder ein Veto im Bundesrat androhten. Die Länder wollten zum Beispiel jede gesetzliche Festlegung auf Ausbildungsquoten und Wohngruppengrößen vermeiden, weil letztlich sie die Kosten für die Gefängnisse tragen.
Ob es überhaupt noch ein Bundesgesetz über den Jugendstrafvollzug geben wird, ist allerdings zweifelhaft. Nach der geplanten Föderalismusreform werden die Länder ab dem Sommer nicht nur für die Verwaltung der Gefängnisse, sondern auch für die Gesetzgebung zuständig sein.
Karol R., der Kläger, hat nun zwar gesetzliche Regelungen erzwungen, seine Verfassungsbeschwerde wurde aber dennoch abgelehnt. Denn bis Ende 2007 bleiben „unerlässliche“ Disziplinarmaßnahmen und Postkontrollen auch ohne Gesetz zulässig. Dem Kläger war’s vermutlich egal. Er war nur von dem Herforder Amtsrichter Helmut Knöner zur Klage überredet worden, weil Karlsruhe dessen Richtervorlagen bisher immer als unzulässig abgelehnt hatte.