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Archiv-Artikel

Der Frau einfach die Wohnung gestürmt

Bei einem Polizeieinsatz in der Wohnung einer bekannten Hamburger Strafverteidigerin wurde offenkundig das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung missachtet. Der Fall hat nun ein prozessuales Nachspiel

Ehrhardt wird von den Polizisten gepackt, auf die Couch geworfen und von einem Beamten mit einem schmerzhaften Armbeugehebel „fixiert“

Subjektiv geht es um Bagatellen in dem seit Wochen andauernden Prozess, aber im Kern um Grundrechtsfragen: Dürfen Polizisten in eine Wohnung eindringen und damit die grundgesetzlich geschützte Privatsphäre verletzen, wenn kein gewichtiger Grund vorliegt? Und wenn nicht, darf sich frau dagegen wehren, wie es sich die renommierte Hamburger Anwältin Ursula Ehrhardt erlaubte?

Ehrhardt sitzt nicht als Strafverteidigerin, sondern als Beschuldigte auf der Anklagebank. Vorwurf: Widerstand gegen die Staatsgewalt und Beleidigung. Schon vor Beginn des Verfahrens macht Richter Olaf Beier vom zuständigen Amtsgericht Hamburg-Altona deutlich, dass er nach Aktenlage den Prozess über den seiner Meinung nach „unglücklichen Polizeieinsatz“ am liebsten einstellen möchte. Und auch Ehrhardt hätte zähneknirschend dem Ansinnen gegen eine „symbolische Geldbuße“ von 50 Euro zugestimmt, um die zeitraubende Angelegenheit vom Tisch zu bekommen, die womöglich alle gerichtlichen Instanzen beschäftigen könnte.

Doch die junge Anklägerin Petra Graue von der Politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft hatte strikte Order, gegen die linke Anwältin hart zu bleiben – auch wenn sie damit riskiert, dass ihre vier Polizeizeugen am Schluss selbst ein Verfahren wegen Hausfriedensbruch, Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung am Hals haben. Denn auch Ehrhardt hat nach dem Ereignis Strafanzeige gestellt, so dass die Erstauflage des Verfahrens im Herbst 2005 platzte. Alle Polizisten verweigerten die Aussage, „um sich nicht selbst zu belasten“.

Am 16. August 2004 war die 32-jährige Diana H. gegen Mitternacht aufgeschreckt, als vor ihrem Terrassenfenster in St. Pauli eine Flasche zerschellte. Sie alarmierte wütend die Polizei. Als nach 20 Minuten zwei Streifenwagen eintreffen, informiert Diana H. die vier über Funk koordinierten BeamtInnen über den Flaschenwurf und zeigt auf ein Fenster gegenüber, das offen steht. „Ich habe ihnen aber gesagt, dass ich nicht weiß, wer geworfen hat und von wo geworfen worden ist“, beteuert Diana H. vor Gericht. Auf die Frage eines Polizisten, ob die Flasche auch aus einem Fenster über ihrer Wohnung geflogen sein könnte, habe sie damals sogar dies ausdrücklich bejaht.

Trotz des vagen Hinweises suchen die vier BeamtInnen nachts zielstrebig die Wohnung mit dem offenen Fenster auf. Es gehört Ursula Ehrhardt. Sie klingeln Sturm. Als die Juristin verschlafen und irritiert über die nächtliche Störung die Wohnungstür öffnet, angibt, nichts mitbekommen zu haben, zur Identitätsfeststellung auf ihr Wohnungsschild verweist und die Tür wieder schließen will, werden die Polizisten rabiat. Einer drückt die Tür mit den Worten auf, „wir kommen in jede Wohnung, in die wir wollen!“

„Sie wollte sich der Personalienfeststellung entziehen“, behauptet Polizist Kai H. vor Gericht und gibt dabei freimütig das Eindringen in die Wohnung zu. Das sei „ganz spontan ohne Absprache passiert“, so Kai H. „In einer solchen Situation „habe er seine Kollegen nicht auf „mögliches rechtswidriges Verhalten hinweisen“ können.

Da das Herumstöbern der Polizisten in ihrer Wohnung – unter anderem machen sie sich am Kühlschrank zu schaffen – Ehrhardts Unmut auslöst, kommt es zum Eklat. Ehrhardt wird von den Polizisten gepackt, auf die Couch geworfen und von einem Beamten mit einem schmerzhaften Armbeugehebel „fixiert“. Dabei soll die schmächtige Feministin den kräftigen Beamten Kai H. in den Unterarm gebissen und eine tatenlos zusehende weibliche Beamtin wütend als „blöde Kuh“ bezeichnet haben. Danach wird sie in Handschellen gefesselt und nur im Bademantel bekleidet zur Davidwache transportiert.

Auf die Fragen von Ehrhardts Verteidigern Jan Mohr und Johannes Santen nach dem eigentlichen Einsatzgrund reagiert Kai H. mit Achselzucken. Ob es Anhaltspunkte gegeben habe, dass Ehrhardt die Flaschenwerferin gewesen sei, insistiert Mohr, was vielleicht ein Eindringen in die Wohnung zwecks Strafverfolgung und Gefahr in Verzug rechtfertigen könnte? Kai H. verneint dies eindeutig. Auch scheint eine Stunde nach dem Flaschenwurf keine „Gefahrenlage“ vorgelegen zu haben, mit der ein Eindringen nach Polizeirecht zwecks „Gefahrenabwehr“ zu begründen gewesen wäre. Zumindest wird in den Polizeiberichten nichts davon erwähnt.

Nach der Festnahme Ehrhardts machten sich die Polizisten nicht einmal die Mühe, nach Flaschen in der Wohnung zu suchen. Erst später, als gegen die Polizisten ermittelt wird, taucht die Version der „Gefahrenerforschung“ für das Eindringen auf. „Ich war damals wohl nachts nicht mehr voll im Besitz meiner geistigen Kräfte“, gibt Polizist Kai H. vor Gericht als Begründung an.

Für Ehrhardts Anwälte Mohr und Santen ist die Sache eindeutig. „Illegales Handeln“ sollte nachträglich „legitimiert“ werden. Santen: „Das Handeln der Polizisten war hochgradig rechtswidrig, dass musste unsere Mandantin nicht dulden – der Widerstand war rechtmäßig“. Der Prozess wird fortgesetzt.

Kai von Appen