der rächer der zigarettenfrau von JOACHIM SCHULZ
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Zigaretten wollte ich kaufen gehen, doch vor dem Laden der alten Frau Bebel sah ich mich unverhofft mit Scheinwerfern, aufgeregt herumwuselnden Menschen und einem rotweißen Absperrband konfrontiert. „Was tun Sie da?!“, herrschte mich einer der aufgeregten Menschen an, als ich Anstalten machte, unter dem Band durchzukriechen. „Zigaretten holen“, entgegnete ich ungerührt. „Das geht jetzt nicht!“, fauchte er: „Sie sehen doch, dass hier gedreht wird!“

Durch sein Geschrei wurde der Regisseur auf mich aufmerksam. Er trat vor mich hin, rieb sich versonnen seinen albernen Spitzbart und machte mehrmals „Hm!“, während er mich betrachtete. Dann sagte er: „Ich brauche für die Szene im Zigarettenladen noch einen Statisten – möchten Sie die Rolle übernehmen?“ Selbstverständlich hätte ich antworten sollen, dass ich lieber in der Hölle schmoren wolle, als an einem wahrscheinlich sterbensblöden Unterhaltungsfilm mitzuwirken. In diesem Moment aber vernahm ich ein feines Stimmchen in meinem Kopf. „Hey, Mann! Du kommst ins Fernsehen!“, flüsterte es, und also nickte ich dümmlich grinsend und sagte: „Gern!“

Meine Aufgabe bestand darin, im Hintergrund an einem Lottopult zu stehen und einen Tippschein auszufüllen. Hinter dem Verkaufstresen saß eine junge, blonde Frau, die bestimmt schon einmal auf dem Titelblatt meiner Fernsehzeitschrift abgebildet war, deren Namen ich aber trotzdem nicht kannte. Die Kamera lief, und ein gleichfalls junger, blonder Kerl stürmte herein. Er hatte nicht die Absicht, Zigaretten zu kaufen. Stattdessen stürzte er grußlos zum Tresen und schimpfte und tobte und schnauzte die Zigarettenfrau so lange an, bis diese in Tränen ausbrach und er, ein zufriedenes Grunzen absondernd, wieder hinauslaufen konnte.

„Schnitt! Gestorben! Super, Leute!“, rief der Regisseur. Zugleich begann der Kameramann zu fluchen. Es hatte irgendwelche technischen Probleme gegeben, weshalb die Szene wiederholt werden musste, und das schien mir meine Chance zu sein. „Also, hören Sie“, sagte ich zum Regisseur: „Ich als Stammkunde würde aber nicht zulassen, dass meine Zigarettenfrau so angepöbelt wird! Finden Sie nicht, dass ich eingreifen und diesem ungehobelten Burschen Einhalt gebieten sollte?“ Das allerdings fand der Regisseur ganz und gar nicht. „Was fällt Ihnen ein, sich da einzumischen?!“, knurrte er: „Gehen Sie an Ihr Pult zurück, und halten Sie gefälligst den Rand!“

Ich aber kann beharrlich sein, sehr beharrlich. Kaum fing der Kerl wieder an, die Zigarettenfrau zu beschimpfen, sprang ich hinter dem Pult hervor. „Sie unverschämter Rüpel!“, rief ich, „ich werde Ihnen …“ Bevor ich das allerdings näher ausführen konnte, brüllte der Regisseur dazwischen. „Schnitt!“, schrie er: „Ich fasse es nicht! Sind Sie wahnsinnig, Mann?! Schnell, schafft ihn mir aus den Augen, sonst vergesse ich mich!“

Auf diese Weise endete meine kurze Fernsehkarriere. Aber wenn Sie demnächst einen sterbensblöden Unterhaltungsfilm sehen sollten, dann passen Sie gut auf, sobald die Szene im Zigarettenladen kommt: Denn hinten rechts, am Lottopult vor den Zeitungen, dort hätte um ein Haar ich gestanden.