: Ungebetene Geste
Eine Nagelprobe für die journalistische Ethik: Was machen deutsche Zeitungsredaktionen, wenn sie WM-Tickets geschenkt bekommen?
Von Michael Brake
Tickets für die Fußball-WM sind bekanntermaßen rar. Und das Gros der Journalisten hat eben keine Akkreditierung, würde aber trotzdem gerne ein WM-Spiel im Stadion sehen. Die offiziellen WM-Sponsoren wiederum verfügen über umfangreiche Ticketkontingente, und für sie sind Journalisten mitunter Menschen von besonderem Interesse. Das passt ja eigentlich ganz gut: Eine informelle Einladung zu, sagen wir, Stadionbesuch mit anschließendem Essen – und alle sind zufrieden.
Gäbe es da nicht den Pressekodex: „Die Annahme und Gewährung von Vorteilen jeder Art, die geeignet sein könnten, die Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redaktion zu beeinträchtigen, sind mit dem Ansehen, der Unabhängigkeit und der Aufgabe der Presse unvereinbar“, steht dort. Arno Weyand vom Beschwerdeausschuss des Deutschen Presserats übersetzt: „Geschenke sind natürlich nicht generell verboten, aber ab einer bestimmten Summe fängt es an, kritisch zu werden. Gerade bei den Größenordnungen, die während der WM erreicht werden. Eine Karte für’s Auftaktspiel, oberste Kategorie, kostet ja locker 300 Euro.“
So schwammig wie sich das anhört, gehen auch die meisten Zeitungen mit dem Thema um: „Es gibt dazu keine speziellen Richtlinien, weil wir unseren Kollegen vertrauen“, heißt es beim Focus. „Wir verfahren wie immer mit Geschenken aus der Industrie“, lässt der Spiegel wissen. Ähnlich unspezifisch, aber tendenziell ablehnend, klingen die Aussagen der Süddeutschen Zeitung, des Sterns, des Springer Verlags, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der taz.
Für das Handelsblatt, die Berliner Zeitung und die Stuttgarter Zeitung ist die Sache hingegen klar: Die Redakteure dürfen keine WM-Tickets annehmen. Uwe Vorkötter, ehemaliger Chefredakteur der Berliner Zeitung, begründete das in einer Mail an alle Mitarbeiter unter anderem so: „Wir setzen uns in der Zeitung kritisch mit der Vergabe der Karten, sowohl der verkauften als auch der Sponsorenkarten auseinander. Besonders die Einladung von Politikern wird thematisiert, und zwar zu Recht. Unsere Glaubwürdigkeit nimmt Schaden, wenn wir selbst solche Einladungen annehmen.“
Mehr Erfolg hätten die Sponsoren da schon bei der Financial Times Deutschland (FTD). Hier dürfen die Redakteure – wenn sie denn wollen – WM-Karten auch zur privaten Nutzung annehmen. Dies ist allerdings dem Ressort- oder Abteilungsleiter zu melden, außerdem muss für die Tickets der marktübliche Preis gezahlt werden – an die FTD. Abgerechnet wird über die Gehaltsrechnung, der so erreichte Erlös soll der Nachwuchsabteilung eines Fußballvereins gespendet werden. Dass ausgerechnet die FTD als einzige Zeitung die Annahme von Karten ausdrücklich erlaubt, überrascht. Bemüht sich die Zeitung doch normalerweise, ganz in angelsächsischer Tradition, um völlige Unbestechlichkeit: Selbst bei Einladungen vom Mutterkonzern Bertelsmann bezahlen FTD-Redakteure noch ihre Hotelzimmer selbst.
Eine sympathische Lösung hat sich übrigens der Berliner Tagesspiegel ausgedacht: Sollte man Tickets angeboten bekommen, werden diese angenommen – und unter den Abonnenten verlost. Laut Redaktionsdirektor Gerd Appenzeller sollten diese sich aber nicht allzu große Hoffnungen machen: „Bisher haben wir leider keine Karten angeboten bekommen – da sind wir wohl doch nicht so wichtig, wie wir bisher dachten.“