: Prager Posse vor Wahl
Vor der Parlamentswahl wird die sozialdemokratische Regierung beschuldigt, Kontakte zur Unterwelt zu haben. Das nützt den Konservativen
AUS PRAG ULRIKE BRAUN
Kurz vor den Wahlen gab sich der sozialdemokratische Ministerpräsident Jiří Paroubek eher sauer als zuversichtlich: Ein „Putschversuch“ werde vonseiten der Opposition, der Bürgerlich-Demokratischen Partei (ODS), gegen ihn und seine Regierung verübt. Das Land verfalle dem „politischen Gangstertum“ der Opposition. Die habe sich einen hohen Polizisten gefügig gemacht, um die Wahlen an sich zu reißen, wütet Paroubek.
Kurz vor dem Urnengang in Tschechien am 2. und 3. Juni bringt ein hochrangiger Polizist die regierenden Sozialdemokraten (CSSD) mit der Unterwelt in Verbindung. In zwei Fällen von Milliardenbetrug und bei einem Auftragsmord sollen führende Parteimitglieder ihre Finger im Spiel gehabt haben, sagt der Leiter der Sondereinheit Organisiertes Verbrechen, Jan Kubice. Zudem sollen Regierungsamt und Innenministerium die Arbeit von Kubices Eliteeinheit behindert haben, beschwert er sich in einem Bericht, der Anfang der Woche dem parlamentarischen Sicherheitsausschuss vorgelegt wurde. Dessen Vizevorsitzender, Sozialdemokrat Petr Ibl, räumt ein, der Bericht enthalte Verdachtsmomente, „die genau untersucht werden müssen“.
Tatsache ist, dass im Zusammenhang mit einem Betrug um Biosprit vier führende Sozialdemokraten Anfang dieses Jahres verhaftet wurden. Nur soll diese Affäre, laut Polizei, auch mit dem Auftragsmord an dem Unternehmer František Mrázek in Verbindung stehen, der im Januar vor seinem Büro regelrecht liquidiert wurde. Unter anderem verfolgt die Polizei auch Spuren, denen zufolge Mrázek kompromittierendes Material über sozialdemokratische Spitzenpolitiker gesammelt haben soll. Als möglicher Mörder Mrázeks wird in dem Bericht ein angeblich guter Bekannter Paroubeks genannt.
Kein Wunder also, dass der Regierungschef vor Wut fast platzt. Elitepolizist Jan Kubice sei ein „Lügner, Meineidiger und grässlicher Mensch“, schimpft Paroubek. Der Skandal könnte wahlentscheidend sein. Letzten Umfragen zufolge könnte die konservative Bürgerlich-Demokratische Partei (ODS) zwar mit knapp 31 Prozent stärkste Kraft werden. Die Sozialdemokraten sind ihr aber mit 24 Prozent relativ dicht auf den Fersen. Viele Wähler sind noch unentschieden und könnten sich von den – nicht bewiesenen – Enthüllungen Kubices überzeugen lassen, gegen die Sozialdemokraten zu stimmen.
Andere Parteien, die um die 200 Sitze im Abgeordnetenhaus kämpfen, scheinen dies schon längst zu glauben. So haben die Christdemokraten (KDU-CSL) und die Grünen der CSSD eine Absage erteilt. In der endenden Legislaturperiode ist die KDU-CSL zwar noch Koalitionspartner der CSSD. De facto haben die Christdemokraten aber vor langer Zeit das Lager gewechselt und klüngeln mit der Opposition.
Die Einzigen, die die Sozialdemokraten als Minderheitenregierung an der Macht halten könnten, sind die Kommunisten. Sie können sich auf eine Stammwählerschaft von gut 15 Prozent verlassen und haben, zum Entsetzen der tschechischen Mittelklasse, signalisiert, eine sozialdemokratische Minderheitenregierung zu unterstützen.
Hoffnungsträger einer politischen Alternative sind die Grünen, die zum ersten Mal den Sprung ins Parlament schaffen dürften. 8,6 Prozent der Wähler würden die Grünen gerne als parlamentarische Kraft sehen.
Wenn die Grünen schon jetzt zu den Gewinnern der Wahl gezählt werden können, steht der Verlierer auch schon fest: die politische Kultur. Was als langweiliger, aber sachlicher Wahlkampf um Steuerreform und Kindergeld begann, verkam zu einer Posse inklusive Ohrfeigen und Verleumdungen. Auch der jüngste Skandal ist mit Vorsicht zu genießen. Immerhin ist komisch, dass der ODS-Vorsitzende Mirek Topolánek, schon eine Woche bevor der inkriminierende Bericht dem Sicherheitsausschuss vorgestellt wurde, Paroubek Verbindungen zur Prager Unterwelt vorgeworfen hatte.